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Kindsköpfe: Roman (German Edition)

Kindsköpfe: Roman (German Edition)

Titel: Kindsköpfe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kriss Rudolph
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Trauerrolli aus. So gab sich Niklas der Illusion hin, dass es bis zur Normalität nicht mehr weit war.
    Bis er die Kleine eines Tages im Badezimmer dabei erwischte, wie sie sich mit einem Lippenstift schminkte. Ihr Mund leuchtete knallrot, ebenso wie ihre Bäckchen. Abgesehen davon, dass er nicht wusste, wo sie den Lippenstift herhatte, überlegte er, wie er ihr schonend beibringen konnte, dass sie sich mit dem Make-up möglicherweise für den Kinderstrich qualifizierte, aber schön war nun mal etwas anderes.
    »Hast du einen Freund?«, fragte er, mehr aus Spaß, und war überrascht, als das Mädchen mit feierlicher Miene verkündete: »Ja, und wir wollen heiraten.«
    Er setzte sich auf den Badewannenrand und beobachtete sie. Fing etwa heute die Pubertät an, mit acht? Musste er jetzt Ratgeber zur ersten Menstruation lesen? Er hatte noch nicht einmal die Bettnässer-Fibel durch, die Oliver wegen Hannes gekauft hatte.
    »Magst du ihn vielleicht mal mitbringen, damit wir ihn alle kennenlernen können?«
    Vor Lachen rutschte Lotte mit dem Lippenstift ab und malte sich einen Haken quer übers Kinn.
    »Was denn?«, fragte Niklas.
    »Du kennst Oli doch.«
    Für einen Moment war er sprachlos. »Den willst du heiraten?«
    Lotte nickte ernst und bestimmt.
    »Aber er ist mein Freund. Ich werde ganz traurig sein, wenn er nicht mehr bei mir ist.«
    »Wir bleiben ja hier wohnen«, versuchte Lotte ihn zu trösten. Dann betrachtete sie sich kritisch im Spiegel und rief: »Ich hasse meine Sommersprossen!«
    Niklas wandte sich am Abend an Oliver, der sich gerade für seinen Kneipenjob fertig machte. Die Vorbereitung bestand darin, sich mit einem kleinen Pinsel Lotion in die Geheimratsecken zu streichen, an denen schon längst nichts mehr geheim war. Er hatte das Mittel aus verschiedenen Heilpflanzen im Internet bestellt; es kam aus China und versprach üppigen Haarwuchs.
    »Wie würde es dir eigentlich gefallen, wenn ich dein Stiefonkel werde?«
    Oliver zuckte mit den Achseln. »Dürfen wir dann noch im selben Bett schlafen?«
    »Das müsstest du mit der Braut klären.«
    Niklas erzählte ihm von Lottes Heiratsplänen, und Oliver meinte, er freute sich, dass wenigstens ein Mitglied der Tiedemann-Familie sich vorstellen konnte, ihn zu ehelichen.
    »Seit heute gibt es zwei«, sagte Niklas beleidigt.
    »Ach, Hannes auch?«
    Niklas kniff Oliver zur Strafe in seine knubbelige Nase. Dann half er ihm, die Lotion auf seinem Hinterkopf aufzutragen, wo es eine winzige Lichtung gab. Er hatte ihm mehrfach versichert, dass ihn die kahlen Stellen nicht störten, dass er sie im Gegenteil ganz attraktiv fand. Aber er hatte den Eindruck, dass ihn das umso mehr anspornte, jene ›Problemzonen‹ zu bekämpfen.
    »Als ich dir einen Antrag gemacht habe, wolltest du nicht, Nik.«
    »Damals kannten wir uns kaum.«
    »Es war an unserem zweiten Jahrestag!«
    »Eben!«
    »Da du immer so viel Wert auf deine eigene Wohnung gelegt hast, wollte ich später auch nicht mehr fragen.«
    »Warum muss man denn auch gleich zusammenziehen, bloß weil man heiratet?« Niklas verschloss das Fläschchen und gab es Oliver zurück.
    »Weil das so wäre, als … als würde man ein Kind adoptieren, aber lässt es trotzdem im Heim sitzen.«
    Oliver löschte das Licht, und Niklas stand im Dunkeln. Er bereute, dass er Lottes Hochzeitspläne nicht für sich behalten hatte. Als er seinem Freund in den Flur folgte, hatte der bereits seine Jacke angezogen.
    »Köln war also für dich ein Heim, aus dem du befreit werden wolltest.«
    Es sollte ein Witz sein, aber beim Thema Köln hörte für Oliver der Spaß auf. Und beim Heiraten sowieso.
    »Ich habe einen besseren Vergleich: Das ist so, wie wenn man mit seiner Familie in den Urlaub fährt, aber dann trotzdem arbeitet. Gute Nacht!«

    Am nächsten Tag fiel eine Handvoll mittelalter Herren in die Agentur ein. Die Vertreter vom Verkehrsverbund kamen mit mausgrauen Anzügen und ebensolchen Vorstellungen von der »frischen« und »pfiffigen« Image-Kampagne, mit der sie Schwarzfahrern den Garaus machen wollten. Da Niklas auf endlose Diskussionen gefasst war, sorgte er persönlich dafür, dass reichlich Kaffee und kalte Getränke bereitstanden. Nadja warf kurz vor Beginn der Präsentation einen kurzen Blick in den Konferenzraum und wünschte ihm viel Erfolg. Niklas nickte nur kurz. Inzwischen wusste er, warum Nadja den Auftrag im letzten Moment wieder abgegeben hatte: Hinter der französischen Delikatesse steckte nicht etwa ein neuer Kunde

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