Kindsköpfe: Roman (German Edition)
besorgen.«
»An Ostern?!«
»Haben Sie eine bessere Idee?« Damit verschwand er wieder.
Entnervt ließ sich Niklas zurück auf den Sessel fallen und überlegte einen Moment, alle Sachen zu packen, um in ein zivilisiertes Hotel überzusiedeln, sobald Oliver mit den Kindern zurückkehrte. Das Gewitter schien langsam abzuziehen, nachdem es genug Unheil angerichtet hatte. An die Flut erinnerte nur noch ein leises Tröpfeln, und der trübe Tag verwandelte sich langsam in nächtliche Dunkelheit. Nun würde es hoffentlich nicht mehr lange dauern, bis die drei wieder zurück waren.
Doch bis zum Abend gab es immer noch kein Lebenszeichen. Und keinen Strom. Wo auch immer Oliver, Hannes und Lotte Schutz vor den Wassermassen gefunden hatten, jetzt konnten sie ihre Zuflucht langsam wieder verlassen. Vielleicht hatten sie bereits bei Ellen angerufen. Niklas lief zum Haus. Der Weg war eine einzige Pfütze, keine Chance, trockenen Fußes oben anzukommen.
Der Hund begrüßte ihn mit einem feindseligen Bellen. November strich um sein Bein, als er das Haus betrat. Überall brannten Kerzen. Ellen hielt ihr schlafendes Baby im Arm. Von Oliver hatte sie nichts gehört, das Telefon funktionierte leider nicht. Aber sie wusste zu berichten, dass die Küstenstraße gesperrt sei, weil der Sturm Bäume entwurzelt und auf die Straße gezerrt hätte.
»Mach dir keine Sorgen, es geht ihnen sicher gut.«
Doch leider konnte Ellen ihn nicht beruhigen. Sein schlechtes Gewissen plagte ihn, weil er seine Familie weggeschickt hatte. Er wollte aufbrechen und suchen gehen, aber seine Gastgeberin bestand darauf, dass er blieb. Widerwillig ließ er sich ins Wohnzimmer führen, wo eine ältere Dame vor dem Kamin saß, eine Irin, die Ellen als Bildhauerin aus dem Dorf vorstellte. Das weiße lange Haar hatte sie zu einem Zopf gebunden, dazu trug sie eine braune Lederhose und Stiefel, die ihr bis zum Knie reichten.
Sie rückte etwas zur Seite, um Platz zu machen. Im Dämmerlicht wirkte sie wie Ende vierzig, aber ihre Stimme klang älter.
»Zwei süße Kinder habt ihr.« Ihr Englisch hatte einen starken Akzent. Niklas musste sich sehr konzentrieren, um ihr folgen zu können.
»Danke.« Er sah auf die Uhr. Nun waren sie schon seit zehn Stunden fort. Er beschloss wieder hinunterzugehen, doch da reichte Ellen ihm ein Glas Rotwein. Der Höflichkeit halber trank er ein wenig und spürte, wie die Wärme langsam in seinen Körper zurückkehrte. Er nahm einen weiteren, größeren Schluck.
»Selbst gemacht?«, wollte die Irin wissen.
Er sah sie fragend an.
»Die Kinder! Sind Sie der Vater?«
Niklas betrachtete die aufgeregten Flammen im Kamin und schüttelte den Kopf.
»Das Mädchen sieht Ihnen aber sehr ähnlich.«
»Es sind die Kinder meiner Schwester«, sagte Niklas leise. »Sie wäre vor kurzem dreißig geworden.«
Die alte Dame sah ihn erschrocken an.
»Die Arme! War sie krank?«
Und plötzlich hörte sich Niklas die ganze Geschichte erzählen, von Lottes Geburt an. Nichts ließ er aus, weder Inkens Flehen, er möge für die Kinder sorgen, noch die Frau vom Flohmarkt, die ihn bis nach Hause verfolgt hatte und ohne Zweifel auch hinter den anonymen Anrufen steckte. Während er redete, gesellte sich November zu ihm. Schnurrend nahm die Katze auf seinem Schoß Platz, und Niklas begann, sie abwesend zu streicheln. Zwei Weinflaschen später schloss er seine Erzählung mit dem Besuch der Großeltern und den Bedenken seiner eigenen Mutter.
»Unsinn«, sagte Ellen, »ihr seid toll mit den Kindern.«
»Ich habe ein bisschen Angst, dass man sie uns wegnimmt.«
»Angeblich ist doch Deutschland so kinderfeindlich«, ereiferte sich die irische Künstlerin. »Aber wenn dann zwei Menschen Kinder haben wollen, ist es auch wieder nicht richtig?«
Niklas betrachtete sie lange. »Ich fürchte, wenn es zwei männliche Menschen sind, dann finden es die meisten tatsächlich nicht richtig.«
»Aber wieso denn?« Ellen hatte begonnen, ihr Kind, das in der Zwischenzeit aufgewacht war, zu stillen. Niklas wandte sich diskret ab. »Die Spanier haben es doch auch verstanden. Hier könntet ihr inzwischen ganz normal Kinder adoptieren.«
Niklas nickte, davon hatte er gehört. »Es ist nur so, dass ich manchmal selber zweifle, ob es richtig ist, was wir tun.«
Die Irin schüttelte energisch den Kopf. »Als wir nach Spanien kamen, waren meine Kinder fünf und drei Jahre alt – und ich hatte ziemliche Gewissensbisse, weil ich dachte, ich reiße die beiden aus ihrer
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