Kindsköpfe: Roman (German Edition)
du dir wehgetan?«
»Ich bin gegen so eine Art Wand gelaufen. Ist mir auch noch nie passiert.«
Sie kicherten, dann wurde Niklas wieder ernst.
»Wenn es dir nicht bei deinem Papa gefällt, kannst du jederzeit zurückkommen, weißt du? Wir haben die blöde alte Tafel entsorgt.«
»Hm.«
Er gab ihr einen letzten Kuss und ließ sie los. »Jetzt musst du dich aber beeilen! Grüß mir deinen Mathelehrer!«
Das Kind verabschiedete sich und verschwand mit einer Gruppe von Nachzüglern im Schulgebäude.
»Was für eine Überraschung!« Petra lächelte ihm mit einer Mischung aus Spott und Anerkennung zu.
Kommentarlos tippte Niklas auf seine Armbanduhr. Zwei nach acht.
»Ich habe mich verfahren!« Wolframs Frau stieg zurück in den Wagen.
»Wo ist Hannes?«, rief er.
»Wo er um diese Zeit hingehört!« Mit einem lauten Knall zog sie die Tür zu und richtete den Rückspiegel, an dem ein schlichtes Plastikkreuz baumelte. Dann stieß sie zurück. Auch Niklas setzte sich ans Steuer und startete den Motor. Er rief Fräulein Schwarzkopf an und ließ ausrichten, dass er heute etwas später käme. Die Kinder seien krank.
Sie quälten sich durch den Berufsverkehr, der in der Gegenrichtung deutlich dichter war, weil es kaum einem Düsseldorfer eingefallen wäre, zum Arbeiten nach Mettmann zu fahren. Kurz hinter der Stadtgrenze bog Petra auf den Parkplatz eines Supermarktes, und Niklas blieb ihr auf den Fersen.
»Glauben Sie wirklich, dass Sie damit durchkommen?«, rief er ihr zu, als sie einen Einkaufswagen auslöste und Richtung Geschäft schob. Petras Gang beschleunigte sich.
»Wir haben nur den Normalzustand wiederhergestellt, Niklas.«
Den ersten Halt machte sie bei den Frühstückscerealien, wo sie zwei Tüten vom billigsten Müsli einpackte. Niklas hielt sich dicht hinter ihr.
»Was tun Sie da?«
»Lotte soll ihren Tag mit einem gesunden Frühstück beginnen.«
»Dann muss sie wohl bei Ihnen verhungern. So was isst sie jedenfalls nicht. Sie wird jede Rosine einzeln wieder ausspucken.«
Niklas nahm die Tüten aus dem Einkaufswagen und ersetzte sie durch zwei Packungen von Lottes Lieblingsmüsli, das etwa doppelt so teuer war. Schnaufend machte die Neandertalerin den Tausch rückgängig, und Niklas ließ sie mit einem Schulterzucken gewähren. Aus der Entfernung beobachtete er, wie sie sich über das Brotregal zum Obststand vorarbeitete. In unaufmerksamen Momenten, wenn sie Preise verglich oder Äpfel mit Druckstellen aussortierte, gelang es Niklas, Lottes Lieblingsmüsli zurück in den Wagen zu schmuggeln, und er entsorgte auch die Haselnussnougatcreme aus dem Sonderangebot und tauschte sie gegen das Original ein, das Hannes blind unter sämtlichen Nachahmerprodukten herausschmecken konnte.
Petra erschrak, als sie sich an der Kühltheke wiedertrafen.
»Hör auf, mir nachzuspionieren!«
Niklas ersparte es sich, Wolframs Frau daran zu erinnern, wer mit dem Spionieren angefangen hatte. »Ich meine es nur gut! Offensichtlich brauchen Sie ja einen Einkaufsberater.«
Nachdem sie sich mit Milch, Butter und Käse eingedeckt hatte, schritt sie weiter zu den Joghurts und studierte die Auswahl.
»Für Hannes bitte den mit Kokosnuss.«
Trotzig beförderte Petra eine Palette Himbeerjoghurt in den Einkaufswagen und sah Niklas mit einem herausfordernden Lächeln an.
»Wollen Sie den Kleinen umbringen? Davon bekommt er Durchfall!«
Petra beeilte sich, ihren Einkaufsberater hinter sich zu lassen. Geduldig ließ er sie ziehen und gesellte sich erst wieder zu ihr, als sie alle Artikel auf das Band räumte, und half ihr dabei. In der Aufregung schien es ihr zu entgehen, dass fast die Hälfte der Produkte gar nicht auf ihrer Liste gestanden hatte. Doch als die Kasse den Preis ausspuckte, merkte sie, dass sie von Niklas gelinkt worden war.
»Wer soll das alles bezahlen?«
Niklas zückte gönnerhaft sein Portemonnaie. »Sie sind eingeladen!«
Schnaufend zwängte sich Petra an ihrem Wagen vorbei und stürmte zur Tür, verfolgt von bösen Blicken der Kassiererin.
»Es hat mir Spaß gemacht, mit Ihnen einkaufen zu gehen«, rief Niklas ihr nach. »Das sollten wir öfter machen!«
Die Stille in der Wohnung war das Schlimmste. Seit Monaten hatte Niklas es nicht mehr so ruhig erlebt. Zum ersten Mal hörte er wieder die Autos, die am Haus vorbeifuhren. Ein Nachbar, der sich vor Ewigkeiten ein Klavier gekauft und schonungslos Tonleitern geübt hatte, spielte mit einem Mal verträumte Nocturnes. Niklas sehnte sich nach Lottes
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