Kindsköpfe: Roman (German Edition)
eine große Tasche oder besser einen Koffer?«
»Wo sind die Kinder?« Niklas folgte ihr und schloss unterwegs die Tür zum Bad, wo noch Olivers Bierdosen herumlagen.
»Es geht ihnen gut.«
Schon hatte sie den Kleiderschrank geöffnet und sortierte T-Shirts und Pullover aus, die sie auf Lottes Bett warf. Niklas griff nach ihrem Arm und riss sie herum.
»Wo?!«
»Würdest du mich bitte loslassen, Niklas.«
»Ich kann mich nicht erinnern, Ihnen das Du angeboten zu haben.«
»Du. Tust. Mir. Weh.«
Niklas schloss seine Hand noch etwas fester um ihren Arm und zog sie langsam zu sich. »Es wird Sie überraschen, aber genau das ist meine Absicht.«
Die Neandertalerin warf ihren Kopf in den Nacken und setzte ihr Kampflächeln wieder auf.
»Du kannst es mir natürlich verweigern, ihre persönlichen Sachen mitzunehmen, aber du weißt: Damit triffst du vor allem die Kinder.«
Niklas war für einen Moment so perplex, dass es Petra gelang, ihren Arm aus seiner Umklammerung herauszuwinden.
»Sie hatten kein Recht, die Kinder zu holen!«
»Hattet ihr denn das Recht, die Kinder zu behalten?« Sie musterte ihn mitleidig. »Du hast alles versucht, zu verhindern, dass Wolfram von Inkens Tod erfährt, nicht wahr?«
Ihr ruhiger, verständnisvoller Tonfall brachte Niklas nur noch mehr auf.
»Sie werden Inkens Namen in meiner Gegenwart nicht benutzen.«
»Es war auch ziemlich clever, ihr Konto nicht aufzulösen, damit die Unterhaltszahlungen nicht zurückkommen und wir anfangen, uns Gedanken zu machen.«
Niklas verspürte große Lust, sie in den offenen Kleiderschrank zu schubsen, abzuschließen und den Schlüssel zu verschlucken.
»Nehmen Sie die Sachen und verschwinden Sie aus meiner Wohnung!«
Er beeilte sich, das Kinderzimmer zu verlassen, und konsultierte die Gelben Seiten auf der Suche nach einem Anwalt für Familienrecht. Diesmal entschied er sich für eine Frau. Nachdem er einen Termin ausgemacht hatte, versuchte er noch Oliver zu erreichen, doch da entdeckte er Petra in der Tür. Unter dem Arm trug sie eine rote Spielzeugkiste, die randvoll mit Kleidern gefüllt war.
»Kein Mädchen in dem Alter braucht drei Winterjacken, Niklas!«
»Die rosa Jacke passte nicht zu Lottes Wildlederstiefeln.«
»Die Kleine hat euch ja perfekt eingewickelt.« Petra lachte mitleidig.
»War’s das?«
Sie nahm kurz seine Hand und drückte sie fest. »Danke für eure Barmherzigkeit. Ihr wart da, als Charlotte und Hannes euch brauchten.«
»Wenn Sie so scharf sind auf Kinder, dann lassen Sie sich doch von Wolfram ein eigenes machen! Sind Sie da noch nicht drauf gekommen? Oder brauchen Sie eine Anleitung?«
Zufrieden beobachtete Niklas, wie sich Petras Körper samt ihrem Lächeln versteifte. Sie holte tief Luft, dann verließ sie mit eiligen Schritten seine Wohnung.
11 : Kinderspiel
Als sich die ersten müden Gestalten über den Hof zum Schulgebäude schleppten, war es kurz nach halb acht. Offenbar gab es auch unter den Kindern Frühaufsteher. Aus seinem Auto, das er gegenüber dem Haupteingang abgestellt hatte, beobachtete Niklas, wie sich nach und nach der Lehrerparkplatz füllte. Gegen Viertel vor acht tauchte Lottes Klassenlehrerin auf: Frau Domenicus entstieg einem alten Mercedes und verabschiedete sich mit einem für ihr Alter recht langen Kuss von Herrn Domenicus, sodass es bereits zehn vor acht war, als Niklas erneut zur Uhr sah. Die Kinder strömten inzwischen massenweise über den Hof, die einen laut krakeelend, andere noch in Gedanken an ihr warmes Bett, aber immer noch keine Spur von Petra.
»Das fängt ja gut an«, raunte Niklas seinem Doppelgänger im Rückspiegel zu. Um fünf vor acht würde Mathe Lottes Tag eröffnen, und Herr Voges, der frisch von der Uni kam, hasste es, wenn man auch nur eine Sekunde seines wertvollen Unterrichts versäumte, auf den er jahrelang hingearbeitet hatte.
Das Quietschen von Autoreifen ließ Niklas aufschrecken. Der alte Polo mit Mettmann’schem Kennzeichen kam kurz hinter ihm zum Stehen. Umständlich kletterte Lotte aus dem Wagen, und Petra reichte ihr die Krücken. Die Kleine wollte schon loshumpeln, als Niklas zu ihr trat. Mit Jubelgeschrei fiel sie ihm in die Arme; ihr Groll schien vergessen.
»Geht es dir gut?« Niklas hielt sie fest umschlungen und küsste ihr Haar. Es duftete nach Erdbeere. Lotte nickte und strahlte, dass es ihm fast die Beine wegschlug.
»Bist du noch böse auf mich?«
Die Kleine schüttelte den Kopf. Dann entdeckte sie den Schorf an seinem Auge. »Hast
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