Kindsköpfe: Roman (German Edition)
verraten«, flüsterte Mattis entschuldigend und ließ Inkens Brief sinken.
»Trotzdem sollten wir vorsichtig sein.« Niklas klappte das Tagebuch zu, sammelte Inkens Briefe ein und verstaute alles wieder im Schuhkarton.
»Und du bist ganz sicher, dass ich nicht mit Hartwig nach Mettmann fahren und Wolfram eins auf die Nuss geben soll?«
Grinsend öffnete Mattis eine weitere Flasche Bier an der Tischkante und reichte sie Niklas.
»Nein, bin ich nicht.« Er wartete nicht, bis auch Mattis sein neues Bier geöffnet hatte, und nahm einen großen Schluck. »Aber ich bin dafür, dass wir uns das Beste bis zum Schluss aufsparen.«
Es war lange nach Mitternacht, als Mattis ihn wieder zu Hause absetzte. Pino hatte bereits geschlossen, alle Lichter waren aus.
»Was meinst du, wie lange wirst du brauchen?«, fragte Niklas zum Abschied.
»Was ist heute für ein Tag?«
Niklas sah auf sein Handy. »Donnerstag inzwischen.«
»Ich melde mich am Wochenende. Grüß mir deinen Kerl!«
Dann fuhr er davon.
In der Wohnung wurde Niklas von Dunkelheit und grässlicher Stille empfangen. Nur das Brummen des Kühlschranks war aus der Küche zu hören. Wahrscheinlich schlief Oliver schon, doch er musste ihn wecken und die gute Nachricht überbringen: Bald kehrten die Kinder zu ihnen zurück. Oliver würde hoffentlich zur Vernunft kommen und den Heiratsantrag einfach annehmen.
Niklas beschloss, seinen Freund zu überraschen, und ging zunächst in die Küche, um Schokoladenpudding zu kochen. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis die ersten Milchbläschen an die Oberfläche stiegen. In der Zwischenzeit versammelte er ein paar Kerzen auf einem Tablett, zündete sie an und stellte schließlich den duftenden Pudding dazu. Dann marschierte er aufgeregt ins Schlafzimmer.
Das Bett war unberührt, aber der Kleiderschrank stand offen. Olivers Lieblingspullover fehlte, einige Hemden und ein Paar Schuhe. Im Badezimmer stand eine Zahnbürste einsam und verlassen im Glas.
Niklas kippte den Schokoladenpudding ins Klo und sah in den Spiegel, wo ihm ein alter Mann begegnete. Erschrocken löschte er das Licht.
»Was ziehst du denn für ein Gesicht?«, stieß ihn Nadja am nächsten Morgen beim Briefing mit den Kollegen an. Sie trug ein weiträumig ausgeschnittenes Oberteil in Pink, das einen Knutschfleck in derselben Farbe offenbarte, und wirkte unverschämt gutgelaunt. »Hat Oliver aus Versehen deine Grand-Prix-Bänder gelöscht, oder hat unser Lieblingskurier über Nacht eine Latex-Allergie bekommen?«
»Oliver«, sagte Niklas nur und versuchte, sich auf seinen Chef zu konzentrieren, der neue Kunden an Land gezogen hatte. Wittenberg trug weiße Hosen zu teuren dunklen Hemden. Seine vollen schwarzen Locken waren von dunkel- bis hellgrauen Strähnen durchzogen. Es machte keinen Unterschied, ob man ihm im Sommer begegnete oder an einem regnerischen, dunklen Herbsttag – im Haar steckte eine Sonnenbrille, sonst war es nicht Wittenberg.
»Hat er sie mit Absicht gelöscht?«
»Nein.«
»Hättest du vielleicht die Güte, einen Satz zu bilden mit Subjekt und Prädikat? Ein Objekt wäre auch schön.«
»Ich habe Oliver einen Heiratsantrag gemacht, aber er will nicht, und jetzt ist alles vorbei.«
»Störe ich?« Wittenberg hatte seinen Vortrag unterbrochen, und alle Augen waren auf Niklas und Nadja gerichtet.
»Geht es auch ein bisschen weniger melodramatisch?«, flüsterte sie schnell noch.
»Davon verstehst du nichts, du bist eine Frau«, gab Niklas zurück.
Nadja drehte ihm demonstrativ den Rücken zu, und Wittenberg beendete in Ruhe das Briefing. Dann verteilte er Aufträge an die verschiedenen Teams. Unter anderem wollte ein Kölner Autobauer die Markteinführung eines neuen Stadtwagens mit einer Kampagne begleiten, die gezielt Frauen ansprechen sollte; verschiedene Agenturen wurden dafür in den Wettbewerb geschickt, und Niklas sollte den Sieg holen.
Nach ihrem Meeting beeilte er sich in sein Büro zu kommen, doch Nadja verfolgte ihn.
»War ja klar, dass du das Frauenauto kriegst! Wäre auch eine crazy Idee gewesen, die Sache einer Frau zu überlassen!«
Niklas hatte keine Lust, darüber zu reden, und lief einfach weiter.
»Geht’s dir jetzt wenigstens besser?«
»Ich schnapp über vor Freude.«
»Dann wirst du wahrscheinlich auch Wittenbergs Nachfolger.«
»Ich hab gerade andere Sorgen, Nadja!«
Sie fasste ihn am Arm und zwang ihn dazu, stehen zu bleiben.
»Wieso willst du Oli überhaupt heiraten? Jetzt wo ihr die Kinder verloren
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