Kindsköpfe: Roman (German Edition)
Bier.
»Eva spielt das jetzt ungefähr ein halbes Jahr lang. Danach hätte sie noch drei Monate.«
»Wofür?« Niklas verstand nicht, worauf Oliver hinauswollte.
»Ich will das jetzt mit Eva machen. Bist du dabei?«
Der Barmann reichte ihm ein Bier, das Oliver an Niklas weitergab. Doch der trank nicht.
»Das?«
»Das Kind. Eva hat mir auch angeboten, bei ihr wohnen zu bleiben.«
Niklas stellte das Bier zurück. »Hast du das Testament nicht gelesen? Wir werden Hannes und Lotte zurückholen.«
»Ohne mich, Nik. Du hast gehört, wie lange so was dauert. Und am Ende ist nicht mal klar, ob du gewinnst.«
Das Pausenzeichen ertönte. Die ersten Leute kehrten auf ihre Plätze zurück. Niklas wusste schon, dass er den zweiten Teil des Programms nicht erleben würde.
»Ich muss es versuchen.«
Oliver rutschte von seinem Barhocker. »Dann musst du es leider ohne mich versuchen.«
»Soll das heißen, das war’s dann?«
Oliver drehte sich noch einmal um. Der Ausdruck seiner blauen Augen ließ sich nur vage erahnen, weil sie im Schatten seiner Schirmmütze lagen. Dann lächelte er, scheu wie ein kleiner Junge, und kehrte zurück auf seinen Platz.
»Sapperlot!« Tita Parese schob Niklas unter einen Treppenvorsprung. Er hatte die Anwältin nach einer Verhandlung bei Gericht abgefangen, weil sich ihre Vorzimmerdame weigerte, ihm einen Termin vor Monatsfrist zu geben. Aber so lange konnte er nicht warten.
Ihre großen Hände umfassten das Testament, wendeten es mal in diese, mal in jene Richtung; dann hielt sie es gegen das Licht. Sie trug einen dunkelgrünen Hosenanzug mit zu kurzen Ärmeln, was ihre koboldhafte Erscheinung unterstrich.
»Sie geben nicht auf, was.« In ihrer spitzen Stimme klang leise Anerkennung mit.
»Ich habe einen eindeutigen Auftrag meiner Schwester.«
Tita Parese studierte jeden Buchstaben, als verberge sich dahinter eine geheime Botschaft, mit unsichtbarer Tinte verfasst.
»Verstehen Sie mich nicht falsch, Herr Tiedemann, aber warum haben Sie die schriftliche Verfügung Ihrer Schwester bei Ihrem letzten Besuch nicht erwähnt?«
»Ganz einfach: Da hatte ich sie noch nicht.«
Er folgte der Anwältin in den Keller, wo sich die Kantine befand. Es war Mittagszeit, und das halbe Gericht schlug sich hier den Bauch voll. Manche studierten nebenbei Akten, andere lasen Zeitung. Ein Boulevardblatt berichtete in großen Lettern über den Tod eines bayrischen Kleinkindes, das von seiner Mutter und ihrem Lebensgefährten so lange mit Rotkohl überfüttert wurde, bis es starb. Niklas verging der Appetit.
Tita Parese versammelte ein großes Glas Schokoladenpudding mit Sahne und einer Flasche Kakao auf ihrem Tablett. Ihr Mandant folgte mit einem Kaffee und bestand darauf, die Rechnung zu begleichen.
»Können Sie sich vorstellen, Herr Tiedemann, dass mich das plötzliche Auftauchen eines so entscheidenden Dokuments überrascht?«
Sie nahmen Platz, und die Anwältin begann ihr Dessertglas auszulöffeln.
»Sicher nicht mehr, als es mich überrascht hat.« Für den Bruchteil einer Sekunde fragte sich Niklas, ob sein Gegenüber selber Kinder hatte. Doch im selben Moment schien ihm die Frage völlig abwegig: Konnten sich Kobolde überhaupt fortpflanzen?
»Ich glaube, Sie verstehen mich nicht«, sagte sie mit vollem Mund. »Die Frage ist: Kann ich Ihnen vertrauen?«
Niklas schob den Kaffee beiseite und fegte ein paar Krümel von der blau-weiß karierten Tischdecke. Dann zog er Inkens Tagebuch hervor und platzierte es feierlich in der Mitte des Tisches.
»Das hatte meine Schwester im Krankenhaus mit dabei. Vergleichen Sie die Schrift, und Ihre Frage ist beantwortet.«
Tita Parese wischte sich einen Rest Schokopudding aus dem Mundwinkel, dann faltete sie ihre großen Hände und stützte ihr Kinn darauf.
»Mag sein, dass ich pathetisch klinge«, fuhr Niklas fort. »Alles, was ich will, ist Gerechtigkeit. Der Ex-Mann meiner Schwester hat diese Kinder nicht verdient. Ihn verbindet nichts mit den beiden außer ein paar Tropfen Körperflüssigkeit, die er verloren hat, als er vor ein paar Jahren in meiner Schwester steckte. Und jetzt sind die Kinder den ganzen Tag lang in der Obhut einer völlig fremden Frau, zu der sie noch weniger Bezug haben. Sie unterbindet sogar den Kontakt zu uns!«
»Eines muss Ihnen klar sein, wenn wir vor Gericht ziehen: Die Gerechtigkeit – oder das, was Sie darunter verstehen – hat mit dem Aufkommen meines Berufsstandes durchaus ein wenig gelitten.«
Die Anwältin sprach
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