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Kindsköpfe: Roman (German Edition)

Kindsköpfe: Roman (German Edition)

Titel: Kindsköpfe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kriss Rudolph
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erstaunlicher Kraft zu.
    »Gewalttätig war er sicher nicht, aber er hat meiner Frau manchmal aufgelauert«, fuhr Wolfram fort. »Einmal hat er sich Zutritt zu unserer Wohnung verschafft. Er hatte ein fremdes Kind dabei, das sich an meine Tochter gekettet hat.«
    »Gekettet?« Wolframs Anwalt wirkte wie ein Protagonist im Millowitsch-Theater, wenn er aus gespieltem Erstaunen zusammenzuckte, um einzelne Details in Wolframs Erzählung hervorzuheben.
    »Das Kind war Lottes beste Freundin«, rief Niklas. Er hatte zu lange darauf gewartet, seine Geschichte erzählen zu dürfen, als dass er sich zurückhalten konnte.
    »Herr Tiedemann, ich warne Sie zum letzten Mal. Ich lasse Sie aus dem Gerichtssaal entfernen, wenn Sie die Verhandlung weiter stören.« Das freundliche Gesicht des Richters hatte sich verfinstert. »Herr Bayer, wollen Sie bitte fortfahren.«
    »Dieses Kind hatte Handschellen dabei. Niklas … Herr Tiedemann hatte sie ihr zugesteckt.«
    Nonninger staunte, als hörte er die Geschichte zum ersten Mal. Dann faltete er die Hände hinter seinem Rücken und streckte sich.
    »Herr Bayer, würden Sie Ihren ehemaligen Schwager als zuverlässig bezeichnen, als verantwortungsbewusst oder vernünftig? Halten Sie ihn für einen guten Onkel oder vielleicht sogar für einen guten Ersatzvater?«
    Wolfram schien einen inszenierten Moment lang nachzudenken. Dann sah er zu seiner Frau und verneinte.
    »Danke sehr. Keine weiteren Fragen.«
    Niklas kochte. Wolfram seine väterlichen Qualitäten beurteilen zu lassen war ungefähr so lächerlich, als hätte man Nonninger um eine Einschätzung der neuen Brigitte-Diät gebeten.
    Tita Parese erhob sich und schritt zur Befragung Wolframs.
    »Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie Ihre Kinder lieben?«
    »Natürlich!«, sagte Wolfram natürlich.
    Niklas verzog das Gesicht. Er vermied es, in Petras Richtung sehen, wo er ein herablassendes und hämisches Grinsen erwartete.
    »Sie lieben sie so sehr, dass Sie die Kleinen auf keinen Fall wieder hergeben würden? Oder könnten Sie sich ein Leben ohne sie vorstellen?«
    »N-nein.«
    »Was nein?« Tita Parese rieb sich in einer kurzen zackigen Bewegung das Kinn. »Sie lieben sie nicht, oder Sie könnten sich ein Leben ohne sie nicht vorstellen?«
    »Das habe ich doch schon gesagt.« Nervös sah Wolfram zu seinem Anwalt.
    Der hob wie auf Befehl die Hand. »Einspruch! Die Kollegin verwirrt meinen Mandanten absichtlich. Das ist eine unzulässige Fragestellung.«
    Richter van der Ohe nickte. »Stattgegeben. Bemühen Sie sich um eindeutige Formulierungen, Frau Anwältin. Ich weiß, Sie können das.«
    »Erzählen Sie uns, Herr Bayer, wie sehr Sie Ihre Kinder früher geliebt haben? Sagen wir … vor drei Jahren?«
    Niklas begriff langsam, worauf seine Anwältin hinauswollte, und entspannte sich.
    »Ich weiß nicht, was das soll. Ich … habe doch … «, stammelte Wolfram, der offensichtlich verunsichert war.
    »Einspruch!«, sprang ihm Nonninger zur Seite. Petra protestierte durch fortgesetztes Schnaufen. Niklas freute sich schon auf den Moment, da seine Anwältin sie in die Mangel nehmen würde.
    Tita Parese erhob zur Beschwichtigung ihre großen Hände. »Ich weiß schon, ihr Männer redet nicht gerne über Gefühle. Aber tun Sie mir den Ge … «
    »Einspruch!«, kläffte Wolframs Anwalt aufgebracht. »Es geht in diesem Prozess nicht um die Gefühle meines Mandanten, sondern um den offenbar verloren gegangenen Realitätsbezug des Verfügungsbeklagten!«
    »Stattgegeben. Kommen Sie zum Punkt, verehrte Kollegin.«
    »Lassen Sie mich anders fragen!« Tita Parese fuhr sich durch ihre wuscheligen Haare. »Warum, Herr Bayer, haben Sie Ihre Familie vor drei Jahren im Stich gelassen, heimlich, still und leise, wenn Sie so sehr an den Kleinen gehangen haben?«
    »Einspruch, das gehört nicht hierher«, rief Nonninger.
    Endlich widersprach van der Ohe. »Das sehe ich anders. Antworten Sie bitte!«
    Wolfram zögerte noch. Zufrieden beobachtete Niklas, wie Petra unruhig auf ihrem Stuhl hin- und herrutschte, weil sie es nicht erwarten konnte, das Heft in die Hand zu nehmen, wie sie es sonst zu tun pflegte.
    »Vielleicht kann ich Ihrem Gedächtnis ein wenig auf die Sprünge helfen.« Tita Parese kam an den Tisch zurück, wo sie Inkens Tagebuch ergriff. »Ihre verstorbene Frau, Inken Bayer, geborene Tiedemann, schreibt am 12.Januar – also gut drei Wochen nachdem Sie die gemeinsame Wohnung verlassen hatten – in ihrem Tagebuch: ›Habe mit W. gesprochen.

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