Kindsköpfe: Roman (German Edition)
Es ist ihm alles zu viel gewesen. Die Kinder, die kleine Wohnung. W. will seine Freiheit. Ich hätte ihn immerzu eingeengt. Wie kann man jemanden einengen, der gar nicht wirklich anwesend ist?‹ und so weiter. Nun, Herr Bayer, erinnern Sie sich? Hat Ihre verstorbene Frau Ihre Worte korrekt wiedergegeben?«
Wolfram nickte zögerlich.
»Antworten Sie doch bitte mit Ja oder Nein«, bat ihn Tita Parese.
»Inken war … Wenn ich mal fünf Minuten später von der Arbeit kam, hat sie mir nachtelefoniert. Wo bist du? Wo bleibst du? Bist du bei einer anderen? Das wurde immer schlimmer! Sie war eifersüchtig, wenn ich am Wochenende Motorrad fahren wollte. Wegen ihr habe ich sogar meine Maschine verkauft.«
Niklas ärgerte sich über die Vorstellung seines ehemaligen Schwagers und musste sich sehr beherrschen, nicht dazwischenzurufen, doch ein warnender Blick des Richters belehrte ihn eines Besseren.
»Würden Sie Ihr Verhalten nachträglich als … wie waren Ihre Worte?«, Parese blickte sich zu ihrem Kollegen Nonninger um, »würden Sie sich als zuverlässig bezeichnen, als verantwortungsbewusst oder vernünftig?«
Wolfram machte eine lange Pause, und Niklas zeigte seiner Anwältin den ausgestreckten Daumen.
»Es war keine leichte Situation«, gestand Wolfram schließlich.
»Und wie erklären Sie uns die Tatsache, dass Sie die Kinder vor einem halben Jahr in einer einigermaßen abenteuerlichen Aktion aus dem Krankenhaus geholt haben?«
»Einspruch«, fuhr Nonninger auf, als habe man ihm auf den Schwanz getreten. »Ein Vater muss sich nicht dafür rechtfertigen, dass er für seine Kinder sorgen will. Außerdem: Als die Einverständniserklärung für Lottes Operation zu unterzeichnen war, ließ Herr Tiedemann den Vater des Kindes anreisen. Damit erkannte er meinen Mandanten zweifelsfrei als Erziehungsberechtigten an.«
»Erzählen Sie denen die Geschichte vom Kreidekreis«, flüsterte Niklas seiner Anwältin zu, doch sie fuhr unbeirrt fort.
»Lassen Sie mich darauf hinweisen, Herr Kollege, dass mein Mandant, der die Kinder nach dem Tod ihrer Mutter aufopferungsvoll zu sich genommen hatte, von diesen neu erwachten Vatergefühlen nichts wusste. Nach einer über zweijährigen Abstinenz darf man doch ein gewisses Signal erwarten, nicht wahr. Vor allem zum Wohle der Kinder.«
»Dem Einspruch wird nicht stattgegeben.«
Niklas riss einen Zettel vom Notizblock seiner Anwältin und malte einen Kreis. In seinen Fingern spürte er schon das Prickeln des Triumphes. Derweil tauschte Wolfram wilde Blicke mit Petra aus, er wirkte erschöpft. Tita Parese bedachte ihn mit einem liebenswürdigen Lächeln.
»Ich kann mir vorstellen, dass das hart für Sie ist, Herr Bayer. Darum möchte ich nun ein paar leichte Fragen stellen. Wie groß ist Ihre Wohnung? Sie wohnen in Mettmann, nicht wahr?«
Wolfram zuckte mit den Schultern. »Knapp achtzig Quadratmeter.«
»Und Sie wohnen dort mit Ihrer zweiten Frau und den beiden Kindern aus Ihrer ersten Ehe. Ist das richtig?«
»J-ja.« Wolfram sah zu seiner Frau, als müsste er sich der Richtigkeit seiner Antwort vergewissern.
Tita Parese kam ein weiteres Mal zu Niklas an den Tisch. Der schob ihr seinen Zettel zu, aber sie verstand den Hinweis nicht. Also malte er drei kleine Strichmännchen, eins in den Kreis und zwei daneben. Tita Parese schaute gar nicht richtig hin, stattdessen zog sie eine kleine Notiz aus ihren Unterlagen. »Nun, meinen Recherchen zufolge bewohnten Sie mit Ihrer ersten Frau, von der Sie sich unter anderem wegen beengter Räumlichkeiten getrennt hatten, eine Wohnung im Düsseldorfer Stadtteil Derendorf, deren Grundriss knapp sechsundachtzig Quadratmeter betrug. Die neue Wohnung ist nun noch etwas kleiner, gleichzeitig sind die Kinder größer geworden – sehe ich das richtig?«
»Einspruch, Herr Vorsitzender!«, meldete sich Wolframs Anwalt zurück. »Die Kollegin versucht, meinem Mandanten böse Absichten zu unterstellen.«
»Sie meinen, dass er seine Kinder ein zweites Mal verlassen könnte, sollte seine Klaustrophobie von neuem ausbrechen?«, konterte Tita Parese.
»Zügeln Sie sich, Frau Kollegin!«, ermahnte sie van der Ohe.
Die Anwältin setzte eine entschuldigende Miene auf und sah den Richter mit großen Augen an.
»Ich möchte noch einmal einen Ausschnitt aus dem Tagebuch der Verstorbenen zitieren. Vor gut sieben Jahren schrieb sie: ›W. lässt mich in Ruhe, seit ich es ihm gesagt habe. Er will, dass ich es wegmachen lasse. Wenn ich könnte, würde ich
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