Kindspech: Tannenbergs achter Fall
Sabrina mit belegter Stimme.
»Der will mich nicht nur quälen, der will mich vernichten. Das hat er ja mit meiner Todesanzeige deutlich gemacht. In Johanniskreuz hat er es schon einmal versucht.«
»Das Attentat auf dich.«
Tannenberg nickte, während sein Mund zu einer dünnen Linie schrumpfte. Er tippte sich an die feucht glänzende Stirn. »Damit er Hanne für sich allein hat. Dieser Irre spinnt doch total! Der will mit seinem kranken Hirn einfach nicht kapieren, dass Hanne nichts mit ihm am Hut hat – noch nie hatte.«
»Aber dass er deshalb so aggressiv wird, das ist …«
»Der wurde nicht erst aggressiv«, warf Tannenberg empört dazwischen, »der war es vorher schon. Beim ersten Mal, als ich mit diesem Mistkerl da drüben konfrontiert wurde«, wie ein Florettfechter mit seiner Waffe stach er mit seinem ausgestreckten Arm in Richtung Küche, »stand er am Benzinoring vor dem Pfalzinstitut und schwang eine Axt. Nur weil er Hanne zu einem Gespräch zwingen wollte. Damals hab ich Hanne überhaupt noch nicht gekannt.«
»Aber jetzt bist du ihr Liebhaber. Damit hat Fritsche einen Adressaten für seine Eifersucht, ein konkretes Feindbild.«
Tannenberg stieß abschätzig Luft durch die Nase. »Unser Rechtssystem ist manchmal einfach nicht zu begreifen. Diesen Amoklauf hat ein wohlwollender Richter nur als Körperverletzung im Affekt gewertet und Fritsche lediglich zu einer läppischen Bewährungsstrafe verurteilt.«
Sabrina seufzte. »Ja, leider.« Ihr Blick fiel auf den Parkettboden vor ihren Füßen, auf dem Glasscherben, zerbrochene Bilderrahmen und Fetzen des zerrissenen Posters verstreut lagen. »Und was machen wir jetzt mit ihm?«
Ein heftiger Ruck ging durch Tannenbergs Körper. »Ich nehm mir diesen Saukerl mal anständig zur Brust.« Er presste die Kiefer so fest aufeinander, dass die Kaumuskeln wie kleine Höcker hervortraten. »Während wir hier tatenlos herumeiern, ist Emma irgendwo eingesperrt.«
Vor seinem geistigen Auge tauchten Fotos aus dem Polizeicomputer auf: Kisten, Erdlöcher, verdreckte Kellerverschläge, in denen Entführungsopfer eingesperrt wurden. Er rang um Fassung und versuchte, die aufsteigenden Tränen zurückzuhalten. Doch sein Mund reagierte mit wilden Zuckungen auf die unerträgliche emotionale Belastung. Wütend schlug er eine Faust in die andere Hand. »Ich muss unbedingt rauskriegen, wo Emma ist. Und wenn ich die Informationen aus diesem elenden Drecksack Stück für Stück herausprügeln muss.«
Er wollte sogleich losstürmen, doch Sabrina stellte sich ihm in den Weg. »Bitte warte noch ein paar Minuten, Wolf. Ich rufe Michael an. Er soll mal schnell abchecken, ob dieser Alexander Fritsche nicht irgendwo einen Zweitwohnsitz oder ein Wochenendhäuschen besitzt. Dann brauchst du dir die Hände nicht an ihm schmutzig zu machen. Irgendwo muss er die Kleine ja versteckt haben.«
Wolfram Tannenberg war unschlüssig, ob er seinem Widersacher diesen Aufschub einräumen sollte. Nachdenklich kratzte er sich im Genick. »Okay, aber nur ein paar Minuten«, stimmte er schließlich zu. »Und dann knöpf ich ihn mir vor«, ergänzte er mit bedrohlichem Unterton versetzt.
Während die junge Kommissarin mit ihrem Mann telefonierte, trat ihr Chef hinaus auf den kleinen Balkon der Wohnung und starrte hinüber zu den dicht bewaldeten Bergrücken des Pfälzer Waldes. Er atmete tief durch und schickte ein weiteres Stoßgebet hinauf in den wolkenlosen, azurblauen Sommerhimmel.
Plötzlich vernahmen die beiden Kriminalbeamten laute Schreie aus Richtung der Küche. Tannenberg schloss hastig die Balkontür und eilte hinter seiner Kollegin her. Der gefesselte Stalker hatte sich inzwischen auf den Rücken gedreht und grinste den beiden Ermittlern frech entgegen.
»Ich will sofort Johanna sprechen«, fauchte Fritsche mit weit aufgerissenen Augen. »Nur ihr sag ich, wo ich den nervigen Balg versteckt habe.«
Tannenberg lagen weitere Hasstiraden auf der Zunge. Aber er schluckte sie hinunter. Die Chance, dass er uns Emmas Versteck preisgibt, darf ich nicht aufs Spiel setzen. Ich darf jetzt nicht ausflippen, sonst macht der Kerl dicht. Reiß dich am Riemen!, disziplinierte er sich selbst.
Er setzte gezwungenermaßen eine relativ freundliche Miene auf und ging auf den Wunsch ein: »Schön, dass Sie vernünftig werden, Herr Fritsche. Ich rufe Hanne an und bitte sie, gleich hierher zu uns zu kommen.«
»Sie soll sich beeilen, der Kleinen geht’s nämlich gar nicht gut.«
Nur äußerst mühevoll
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