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Kindspech: Tannenbergs achter Fall

Kindspech: Tannenbergs achter Fall

Titel: Kindspech: Tannenbergs achter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Franzinger
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Überwachungsmaßnahme die ganze Nacht über andauern. Doch bereits kurz nach Mitternacht brach Tannenberg die Aktion ab und schickte seine Kollegen nach Hause in ihre Betten. Dr. Schönthaler lud seinen besten Freund noch zu einem kleinen Schlummertrunk in die Bahnhofsgaststätte ein.
    In guten Tagen hätte dieser nächtliche Exkurs bis in die frühen Morgenstunden angedauert und sehr wahrscheinlich in einem mittleren Delirium geendet. Aber aufgrund der traurigen Grundstimmung der beiden Männer konnte davon diesmal keine Rede sein. Die zecherprobten Kumpane sprachen kaum ein Wort miteinander, nippten nur lustlos an ihren Weizenbiergläsern und starrten mit trüben Blicken ins Leere.

Mittwoch, 7. August
    6 Uhr 45
     
    Tannenberg wurde nun schon zum zweiten Mal innerhalb von knapp 48 Stunden das Gefühl nicht los, dass sich Dinge, mit denen er konfrontiert wurde, wiederholten. Waren es am Montagmorgen die beiden identisch aussehenden Päckchen gewesen, so erlebte er nun diese merkwürdige Duplizität der Ereignisse in Form eines weiteren FAZ -Exemplars, das Dr. Schönthaler gerade auf dem Küchentisch der elterlichen Wohnung ausbreitete.
    »Frau Tannenberg, kann ich bitte Ihre Bibel haben?«, fragte der Rechtsmediziner.
    Seit Emmas Entführung hatte Margot die Heilige Schrift kaum mehr aus der Hand gelegt. Immer und immer wieder las sie in der Bibel, suchte darin Halt und Trost. Sie hatte in den letzten Tagen kaum geschlafen und nur wenig gegessen. Die alte Dame, die ansonsten in ihrem Reich so geschäftig zugange war, saß nur noch in sich gekehrt am Küchentisch, vertiefte sich in die Bibeltexte oder betete einen Rosenkranz.
    Sie war noch grauer geworden, die Wangenknochen traten noch deutlicher hervor. Ihre tieftraurigen, glanzlosen Augen schienen die Umgebung nur noch durch eine trübe Milchglasscheibe wahrzunehmen. Die Selbstvorwürfe, maßgeblich für die grauenhafte Situation ihrer Urenkelin verantwortlich zu sein, trieben ihr einen giftigen Stachel in die Seele, raubten ihr mehr und mehr den Lebenswillen.
    Auch ihr Mann Jacob war nur noch ein Schatten seiner selbst. Seit der Entführung hatte er kaum mehr einen Schritt vor die Haustür gesetzt. Am Montagmorgen hatte bereits der erste seiner Tchibo-Stammtisch-Kollegen angerufen und sich besorgt nach dem Grund seines Fernbleibens erkundigt. Ohne vorherige Ankündigung hatte der Senior bisher noch nie das tägliche Treffen versäumt. Seit seiner Pensionierung bildete dieses Ritual einen festen Bestandteil seines Tagesablaufs.
    Doch dazu verspürte er gegenwärtig keine Lust mehr. Auch die geliebte Zeitungslektüre bereitete ihm kaum Freude, konfrontierte sie ihn doch permanent mit der schmerzlichen Wahrheit, dass sein kleiner Sonnenschein Emma brutal aus der Mitte der Familie herausgerissen wurde und irgendwo in den Fängen eines skrupellosen Verbrechers dahinvegetierte. Die meiste Zeit des Tages verbrachte Jacob in seinem Ohrensessel im Wohnzimmer und blickte stumpfsinnig vor sich hin.
    Es dauerte kaum mehr als ein paar Sekunden, bis Dr. Schönthaler in Margots Bibel die angegebene Textstelle gefunden hatte.
    »Hab ich mir’s nicht gleich gedacht, hier im Römer 12, Absatz 19 steht etwas ganz anderes«, verkündete er. Er räusperte sich und las das Originalzitat vor: »›Die Rache ist mein, ich will vergelten, spricht der Herr.‹ Von wegen Liebe – es geht um Rache, Wolf, um nichts anderes.«
    »Wundert dich das?«, fragte Tannenberg nahezu emotionslos. Doch gleich darauf schlug er mit der Faust auf den Tisch und brüllte: »Das mit der Rache hab selbst ich inzwischen kapiert. Ich bin ja bereit, mich für Emma zu opfern. Aber warum meldet sich dieser verdammte Scheißkerl nicht bei mir?«
    »Weil er dich auf diese Weise richtig schön quälen kann – und das vor allem auch so lange, wie es ihm gefällt«, entgegnete der Gerichtsmediziner. »Diese Psychofolter ist zentraler Bestandteil seines teuflischen Plans, davon bin ich überzeugt.«
    »Ich scheiß auf seinen Plan!«
    »Wolf, beruhige dich. Ein emotionaler Amoklauf bringt uns nicht weiter! Wir müssen unbedingt analytisch an die Sache herangehen. Wie bei einem Schachspiel, wo der Gegner ja auch einen Plan zur brutalen Vernichtung des anderen verfolgt.«
    Tannenberg sondierte ihn mit einem flackernden Blick.
    »Und wie du selbst weißt, gewinnt man das Spiel, indem man die Züge und die Strategie des Gegners zu antizipieren versucht: Was hat er vor, wie und wo will er mir eine Falle stellen? Will er

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