Kindspech: Tannenbergs achter Fall
Lars mit der Entführung Emmas zu tun haben? Das ergibt doch überhaupt keinen Sinn. Oder was meint ihr?«
»Da kann ich mir ehrlich gesagt auch keinen Reim drauf machen«, entgegnete Dr. Schönthaler.
»Ich auch nicht«, stimmte Sabrina zu.
8 Uhr
»Ich will in exakt einer Stunde mit Tannenberg sprechen. Wenn er nicht da ist, schicke ich ihm ein drittes Päckchen – und diesmal ist der Finger echt! Richten Sie ihm das aus«, verkündete der Anrufer und legte auf.
Im Schnelldurchgang verglich Mertel den gerade in der krehbielschen Villa eingegangenen Tonbandmitschnitt mit dem gestern aufgezeichneten Anruf: Laut elektronischer Sprachanalyse handelte es sich definitiv um ein und dieselbe Person. Daraufhin rief er den beurlaubten Leiter des K 1 an und spielte ihm die Aufzeichnung vor.
Als sich Tannenberg diese unverhohlene Drohung anhörte, wurde ihm schmerzlich bewusst, dass es sich bei dem Anrufer definitiv um Emmas Entführer gehandelt haben musste. Über den Inhalt des ersten Päckchens waren nämlich nur er, seine Familie und seine engsten Mitarbeiter informiert. Alle hatten dichtgehalten, denn nirgendwo war bislang etwas darüber in der Presse zu lesen.
»Weshalb um alles in der Welt soll ich denn zu den Krehbiels kommen?«, fragte Tannenberg den Rechtsmediziner. »Warum ruft dieser Mistkerl nicht einfach hier bei mir zu Hause an?«
»Keine Ahnung, was er damit bezweckt. Aber auch das wird wohl Teil seines hinterhältigen Plans sein.«
Dr. Rainer Schönthaler begleitete seinen Freund zu der am Stadtpark gelegenen Fabrikantenvilla. Punkt 9 Uhr schnarrte das Telefon. Diesmal nahm nicht August Krehbiel, sondern Tannenberg den Hörer und meldete sich mit seinem Namen.
»Ah, da ist er ja, der berühmt-berüchtigte, unerschrockene Verbrecherjäger. Schön, dass Sie meinen Anweisungen so vorbildlich nachgekommen sind.«
»Wer sind Sie, was wollen Sie von mir?«, fuhr Tannenberg den Mann barsch an.
Sofort, nachdem diese Worte seinen Mund verlassen hatten, ärgerte er sich maßlos über seinen emotionalen Ausbruch. Er hatte sich fest vorgenommen, unter allen Umständen ruhig zu bleiben. Aber die Gewissheit, Emmas Entführer an der Strippe zu haben, hatte in seinem Kopf sämtliche Kontrollmechanismen außer Kraft gesetzt.
»Nicht so ungeduldig, Herr Hauptkommissar. Zur rechten Zeit werden Sie Antworten auf alle Ihre Fragen erhalten, das verspreche ich Ihnen. Aber bis dahin müssen Sie erst noch ein paar kleine Aufgaben erfüllen.« Es folgte ein diabolisches Lachen, das dem Kriminalbeamten eiskalte Schauder den Rücken hinunterjagte. »Kennen Sie ›Simon says‹?«
»Was?«
»›Simon says‹ ist ein amerikanisches Kinderspiel. Emma ist dafür natürlich noch viel zu klein. Ach, Tannenberg, sie ist ja so süß …« Ein genießerisches Brummen folgte. »Und hat so eine samtweiche Haut.«
Tannenbergs Mund trocknete aus. Er schluckte hart, sein Magen krampfte sich zusammen. »Du Drecksau, wenn du ihr irgendwas antust – ich mach dich kalt!«, keuchte er. »Das schwöre ich dir!«
»Sie sollten mir nicht drohen, sondern sich lieber auf Ihre Aufgaben konzentrieren. Denn von deren zeitgerechter Erfüllung hängt nichts Geringeres ab als Emmas Leben. Also reißen Sie sich am Riemen! Da Sie leider ›Simon says‹ nicht kennen, werde ich Ihnen dieses nette Spielchen nun erklären. Die Spielregeln sind ganz einfach gestrickt: Simon erteilt Anweisungen, die der Mitspieler sofort auszuführen hat, z. B. ›Spring hoch‹ oder ›Berühre deine Zehen‹. Keine Sorge, Herr Hauptkommissar, das brauchen Sie jetzt nicht zu tun. Unser Spiel hat schließlich noch gar nicht angefangen.« Wieder erklang dieses teuflische Lachen.
»Was soll der Quatsch?«
»Mäßigen Sie Ihre Gefühlsausbrüche und hören Sie lieber genau zu! Nun kommen wir nämlich zu etwas sehr Interessantem: den Strafen. Befolgt der Spieler einen Befehl nicht, lässt er sich zu viel Zeit damit, oder macht er etwas nicht wie angesagt, so scheidet er aus. In Ihrem Falle scheiden Sie natürlich nicht aus, das wäre wirklich viel zu simpel. Nein, Sie werden damit bestraft, dass eine Nichtbefolgung meiner Anweisungen den Tod des süßen kleinen Mädchens zur Folge hätte. Falls Sie versagen, werden Sie also ganz allein für Emmas Tod verantwortlich sein – kapiert?«
»Ja«, gab Tannenberg kleinlaut zurück.
»Wenn unser Spiel gestern begonnen hätte, wäre dies schon passiert. Denn Sie haben geschummelt: Papier statt Geld. Solch einen
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