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Kindswut

Kindswut

Titel: Kindswut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Senf
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kleinen Büros aus wie eine aufgeblasene Prinzessin nach einem schlechten Kuss mit einer dicken Kröte. Man müsste ihr mit einer spitzen Nadel in die dicken Lippen pieksen. Sie würden herunterhängen wie eine aufgeplatzte Kaugummiblase. Überall verstreut läge Krötenlaich. Sie schaute mich an, als hätte ich sie nach einem Geist gefragt. Sie hatte jetzt den gleichen Geisterblick wie Frau Stadl, wenn sie von ihrem lieben, aber schwierigen Sohn sprach.
    »Foto? Nein. Hier ist Ihr Honorar.« Sie öffnete eine Schublade des Schreibtisches und zählte mir 500 Euro auf die Hand. »Ohne Quittung. Wie abgemacht.«
    Ich holte die Zeichnung aus der Mappe und zeigte sie ihr. »Ist das Ihr Mann?«
    Die beiden Frauen schauten auf das Bild. Sie sagten nichts. Ihre Gesichter blieben völlig ausdruckslos. »Wie geschmacklos. Komm, Marga!« Die Freundin wollte Frau Maibaum aus dem Büro ziehen. Ein Mann streckte seinen Kopf in das Büro. Ich traute meinen Augen nicht. Es war Willy, ein begnadeter Pianist, der auf solchen Partys ein bisschen Geld verdiente. Er war ein alter Kumpel von Ludwig, der ihm wahrscheinlich diesen Gig besorgt hatte. Willy schaute auch gerne in dieses oder jenes Weinglas. Wahrscheinlich wollte er gerade im Büro ein Päuschen machen. Da störte er nicht.
    »Oh, Pardon.« Er zog sich blitzartig wieder zurück. Sein Blick war ebenso erstaunt wie meiner, als er mich sah. Kurz darauf spielte er ›On the sunny side of the street‹. Ich liebte diesen Song, aber angesichts der beiden Frauen wurde mir etwas kühl um die Seele.
    Ich wiederholte meine Frage.
    »Ist er es?« Die Freundin von Frau Maibaum streckte mir die Zunge raus. Die Zunge war weißlich belegt. »Bis morgen dann.« Sie zog Frau Maibaum aus dem Büro.
    Ich war allein. Ich ging zur Glasvitrine, öffnete sie und schenkte mir nach dem ekligen Auftritt der beiden Damen einen ordentlichen Schluck Calvados in einen Schwenker. Der Calvados war ein halbes Jahrhundert Jahre alt und kostete bestimmt ein Vermögen. Ich stellte den Schwenker zurück auf die Vitrine, nachdem ich ihn geleert hatte. Der Calvados war köstlich. Ich versenkte die Flasche in meiner Jackentasche. Unter den vielen Flaschen in der Vitrine fiel es gar nicht auf, dass er fehlte. Es wäre mir auch egal gewesen. Die Flasche in der Jackentasche zog die Jacke nach unten. Ich öffnete die Vitrine erneut und griff mir eine unangebrochene Flasche Cognac, einen ›Rémy Martin‹, der noch älter als der Calvados war. Beide Flaschen zusammen verdoppelten mein Honorar locker. Ich verließ die Wohnung. Auf dem Weg zur Türe schaute ich noch einmal kurz in den Salon hinein. Frau Maibaum tanzte Wange an Wange mit ihrer Freundin. Auch andere Frauen tanzten Wange an Wange. Willy spielte gerade ›Everybody loves my baby‹. Dann sah ich einen Schatten vorbeihuschen. Es war der von Frau Stadl. Auf der Straße nahm ich nochmals einen großen Schluck aus der Calvadosflasche. Jetzt fühlte ich mich wieder wohler. Aber was machte der Schatten von Frau Stadl auf der Party von Frau Maibaum? So besoffen war ich doch gar nicht.
    In meinem Haus auf der anderen Straßenseite tobte das Leben. Auf allen Etagen war Party. Ich hörte laute Stimmen, eine Mundharmonika spielte herzzerreißend einen Blues, eine Posaune fiel ein, dann ein Banjo. Da spielte ein kleines Orchester. Das wollte ich mir ansehen. Ich überquerte die Straße. Ich hatte immer einen Schlüssel für den Haupteingang bei mir. Ich öffnete die Türe und trat ein. Ich hörte ganz deutlich die Musik. Das Treppenhaus war hell erleuchtet. Von der Decke im großen Vestibül parterre hing ein überdimensionierter Kronleuchter aus gelbem Messing. Der war neu. Auf der breiten Treppe aus dunklem Eichenholz saßen und standen junge Leute, an das massive Treppengeländer gelehnt. Die meisten hatten eine Bierflasche in der Hand. Sie alle waren stark geschminkt. Es waren grellfarbige Tiermasken, die sie sich aufgetragen hatten. Löwen, Panther, Papageien, Enten, Hunde, Schlangenköpfe, Affengesichter. Es gab kein ungeschminktes Gesicht. Ich ging auf die Treppe zu. Ich wollte in den zweiten Stock, wo die Musik spielte. Ein Knurren, Fauchen, Keckern, Bellen und Miauen setzte ein, als ich mich auf die Treppe zubewegte. Erst ganz leise. Dabei begannen die Oberkörper, sich hin und her zu wiegen. Die einzelnen Tierstimmen wurden lauter und vermischten sich zu einem Klangteppich, der sich verdichtete und anschwoll, je näher ich der Treppe kam. Es war schaurig

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