Kindswut
Dank ging sie immer in den ›Lentz‹ und nie ins ›Dollinger‹.
Willy war noch einigermaßen nüchtern. Er bestellte sich ein Bier. Ich mir noch einen Rotwein. Maria hatte noch keinen für sie geeigneten Sitzplatz gefunden.
»Wie kamst denn du auf diese Trauerparty?«, fragte Willy ganz unvermittelt.
»Ludwig war zu betrunken. Er sollte morgen die Grabrede halten für den toten Herrn Maibaum. Martha bat mich, ihn zu vertreten.«
Willy nickte, bekam sein Bier und nahm einen Schluck. Mit dem Handrücken wischte er sich den Schaum von der Oberlippe. »Soll aufpassen, dass er den Job nicht loswird.« Ich verstand. Willy war ein klasse Jazzpianist. Er war um die 60 und hatte nie Geld. Er trank einfach zu viel. So wie sein Kumpel Ludwig. Verlor der diesen Job, verlor Willy ihn auch. »Das ist ja ein ganzer Club.« Willy bestellte eine Bulette. Ich bestellte mir gleich eine mit. »Mit Senf.« Ich erinnerte mich an die Worte von Martha. »Denen sterben ständig die Männer weg.« Ich schaute Willy an, der hungrig auf den Tresen starrte, auf dem hinter Glas auf einem Teller die Buletten lagen.
»Ganzer Club?« Willy nickte nur. Er war noch nie sehr gesprächig gewesen. »Erzähl doch mal.« Die Buletten kamen mit viel Senf. Willy tunkte seine hinein, biss ein großes Stück ab und kaute. Ich machte es genauso. Die beiden Buletten waren schnell erledigt.
»Noch zwei«, bestellte ich. »Oder?« Willy nickte wieder nur. Wir warteten, bis die nächste Portion Buletten kam, und kauten stumm vor uns hin.
»Der Maibaum war der Fünfte«, sagte Willy schließlich.
Ich glaubte, zu verstehen. »Der fünfte tote Ehemann aus dem Club der trauernden Ehefrauen, für den Ludwig die Grabrede hielt, und du spielst auf der Trauerparty?« Willy nickte und schielte wieder zu den Buletten. Offensichtlich hatte er noch Hunger. Ich wollte keine mehr. Die Buletten waren mir zu hart und zu salzig.
»Bestell dir noch eine«, forderte ich ihn auf, in der Hoffnung, dass er gesprächiger würde. Willy bestellte sich keine mehr. Vielleicht genierte er sich, sich auf meine Kosten mit Fleischklopsen vollzustopfen. »Aber noch ’n Bier?« Willy nickte. Ich bestellte. Mein Rotweinglas war noch fast voll. Außerdem spürte ich den Alkohol deutlich. Ich tastete nach den Flaschen in meinen Jackentaschen. Sie waren noch da. Ich holte die Calvadosflasche hervor und stellte sie vor Willy auf den Tisch. »Für dich.«
Willy grinste. Er hatte die Flasche sofort erkannt. »Hast du einfach so mitgenommen?«
»Habe ich.« Willy steckte die Flasche in eine seiner Manteltaschen. Er trug den gleichen Mantel wie Ludwig. Er war auch genauso hager wie der, nur kleiner, und hatte streng nach hinten gekämmtes, glattes graues Haar. Seine tief liegenden Augen waren wach und immer eine Spur traurig. »Wenn einer gestorben ist, treffen sich fast immer die gleichen Frauen und machen eine Party. Ich spiele Klavier, und Ludwig macht am nächsten Tag die Grabrede. Läuft wie am Schnürchen«, witzelte Willy.
»Sind die lesbisch?«, wollte ich wissen.
»Die Maibaum vielleicht. Die anderen nicht. Die haben Spaß miteinander. Das ist alles.« Maria hatte sich am Tresen ein Bier bestellt. Mit dem Glas in der Hand steuerte sie auf unseren Tisch zu. Alle anderen Tische waren besetzt. Sie setzte sich, ohne zu fragen, zu uns. Das machte sie immer so. Der ›Lentz ‹ war ihr Wohnzimmer. Da konnte sie sich hinsetzen, wohin sie wollte und wie es ihr passte. Ich wollte Willy noch fragen, ob er die Frau Stadl kannte. Jetzt saß da aber Maria. Ich zögerte. Maria hatte die unangenehme Eigenschaft, sich in alles, auch wenn es sie nichts anging, einzumischen und alles, was sie hörte, weiterzutratschen wie eine Non-stop-Nachrichtenbörse. Ich hatte sie einmal zum Spaß getestet und ihr News gesteckt, die nicht stimmten. Es gab einen Hund, den ich nicht leiden konnte. Er kläffte im ›Dollinger‹ abartig schrill und laut. Die Besitzerin liebte dieses Gekläffe. › Mein Maxl, mein Maxl, du liebes Hundi! ‹ Ich wollte dieses Gespann loswerden. › Der Köter ist überfahren worden ‹ , sagte ich zu Maria, › ich habe es gesehen. Von einem Betonmischer. Es war furchtbar. Das arme Tier. ‹ Ich wusste, dass der Hund entlaufen war und seitdem vermisst wurde. Maria rief prompt die Besitzerin an. › Ihr Hund ist tot. Fritz Neuhaus hat es gesehen. ‹ Die Besitzerin rief mich an. Genüsslich schilderte ich ihr den Tod ihres Hundes. Dass er erst ganz furchtbar geschrien habe und
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