Kindswut
hob die linke Pobacke hoch und furzte. Es war ein dünnes, sich hinziehendes Geräusch, ähnlich dem Pfeifen eines kochenden Teekessels.
Barbara zog die Nase kraus. Das war kein gutes Zeichen. »Wenn Sie sich nicht zu benehmen wissen, schmeiße ich Sie auf der Stelle aus Ihrer eigenen Küche raus!« Ludwig riss vor Verwunderung über diesen Ton die Augen auf. Martha wollte für Ludwig Partei ergreifen. Da war sie bei Barbara an der falschen Adresse. »Wenn Sie nicht auf der Stelle sagen, was es mit dieser Zeichnung auf sich hat, landen Sie bei der Polizei und sind in einen handfesten Mordfall verwickelt.«
»Mordfall?« Jetzt war Martha an der Reihe, die Augen aufzureißen. »Wieso das denn?«
»Das werde ich Ihnen gleich sagen. Kannten Sie Frau Körner?« Martha zögerte mit der Antwort. Barbara half ihr auf ziemlich derbe Weise nach. Zu fast jedem Wort schlug sie mit der flachen Hand auf den Tisch, die Hand sauste ganz knapp vor Martha nieder. »Frau Körner wurde ermordet, mit einem Tranchiermesser aus der Küche von Frau Stadl. Die Frau auf Ihrer Zeichnung ist Frau Maibaum, eine gute Bekannte der toten Frau Körner. Was wird die Polizei wohl dazu sagen, dass Sie diese gute Bekannte der toten Frau Körner auf Ihrer Zeichnung unter einen Galgen gestellt haben, an dem ein alter Mann hängt? Hinzu kommen hier diese Zeichnungen, die angeblich nicht von Ihnen stammen? Was Sie ja erst mal beweisen müssten! Behaupten kann man viel! Das alles ist mehr als erklärungsbedürftig Ihrerseits! Zumal zu vermuten ist, dass die hier abgebildeten Personen alle real existierende und hoffentlich noch lebende sind!«
Es war eine Art Eingebung, und ich deutete mit dem Zeigefinger auf die beiden Zeichnungen. »Ist eine der beiden Frauen hier Frau Körner?«
Martha war durch Barbaras Tischgeklopfe und ihre Rede sichtlich eingeschüchtert worden. Mit hochgezogenen Schultern saß sie auf ihrem Stuhl, den sie mit beiden Händen umklammerte. Ihre Knöchel traten weiß heraus. Meine Frage gab ihr den Rest. Ich hatte ins Schwarze getroffen. Ihr Kopf kippte nach vorne, als wäre in einer mechanischen Puppe ein Halsscharnier entzweigesprungen. Sie war für einen Moment völlig regungslos. Dann hob sie den Arm.
»Die da.« Sie zeigte auf eine der beiden Zeichnungen. Es war die androgyne Lady mit der Zigarettenspitze, deren dickleibiger Galan mit offener Hose, geschwollener Zunge und heraushängendem Gemächt am Kronleuchter aufgeknüpft war. Barbara nahm wieder auf ihrem Stuhl Platz und rückte ganz dicht an Martha heran. Ludwig lachte meckernd wie ein Ziegenbock. Es war ein hässliches, gemeines Lachen, eine Facette, die ich an ihm bis jetzt noch nicht kannte.
»Marthas dunkle Seiten. Ring frei zur ersten Runde.« Martha saß immer noch mit abgeknicktem Kopf da.
In solch angespannten Situationen bekam ich bisweilen Flashbacks. Als sausten mir unversehens schwarze Geschosse ins Gehirn. Ein einzelnes Wort konnte genügen, und ich saß in mir selbst wie in einer Falle, in einem tiefen Schacht, mit Schwärze gefüllt. Ich wusste nicht, ob ich stand, schwebte oder kopfüber in die Tiefe stürzte. In meinem Kopf war ein beständiges, sich weiß anfühlendes Rauschen. VERNUNFT!, schoss es mir in den Sinn. Ein Rettungsring, den ich mir selbst zuwarf. Viele Jahre meiner Kindheit verbrachte ich im Pelzschrank meiner Mutter, berauscht vom Duft der Mottenkugeln, die in kleinen Säckchen zwischen den Pelzen hingen. › Abmarsch in den Schrank! ‹ Ich hatte etwas angestellt, wusste aber nie, worin die Verfehlung bestand. Die Verfehlung richtete sich ganz nach dem Stand der mütterlichen Laune. Die war schwankend und es war immer eine andere Verfehlung, die ich abbüßen musste. › Bist du wieder brav?‹, donnerte meine Mutter ein paar Stunden später vor dem Schrank. Ich antwortete nie, weil ich nicht wusste, was ich ausgefressen hatte. Wie sollte ich denn wieder brav sein, wenn ich nicht wusste, warum ich unbrav gewesen war? Zur Vermeidung des Fehlers hätte ich ihn kennen müssen. Ich zermarterte mir das Gehirn, um mich als Fehlerquelle zu erkunden. Ich konnte keinen Fehler finden. Ich verlegte mich darauf, Fehler zu erfinden. Ich aß zum Beispiel mit den Fingern beim Mittagstisch und nicht mit Messer und Gabel. Zu meiner Überraschung störte es meine Mutter nicht im Geringsten. Sie reagierte auch nicht, wenn ich die verschmierten Hände an der Tischdecke abwischte und nicht an der Serviette. Ein anderes Mal konnte sie deswegen ausrasten. Ich
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