Kindswut
sah jetzt leicht debil aus. Sie fasste sich wieder und wickelte den Bademantel enger um sich. »Kommt rein.«
Wir landeten in der Küche am Küchentisch, an dem, Grauburgunder trinkend, Ludwig in seinem viel zu großen Mantel saß, den er nie auszog. Ich überlegte, ob er mit dem Mantel auch auf der Kloschüssel saß oder im Bett lag. Die Flasche vor ihm in Reichweite war halb leer. Eine bereits geleerte stand daneben. Martha nahm sie vom Tisch. »Setzt euch.«
Ludwig grinste sein Kasperlelächeln und füllte sich das Glas voll. »Was machst du denn schon wieder hier?« Wir setzten uns auf die Küchenstühle.
»Wollt ihr was trinken?« Martha stellte Weingläser vor uns hin.
»Nur Wasser.« Barbara trank selten Alkohol. Ich entschied mich ebenfalls für Wasser. Martha stellte eine Wasserflasche auf den Tisch und rückte sich einen Stuhl unter den Hintern. »So.« Sie schaute uns fragend an. »Was gibt’s?«
Ich legte ihre Zeichnungen samt dem Kuvert auf den freien Stuhl neben mir. Auf dem Tisch waren kleine Weinpfützen. Als Martha die Zeichnungen sah, wurde sie nervös. Sie schaute Ludwig, dann wieder auf die Zeichnungen. Sie wollte nicht, dass er sie sah.
»Ihr habt mich das letzte Mal angelogen. Ihr kennt die Stadl. Hat mir Willy erzählt.«
»Der Willy quatscht viel.« Ludwig trank mit leicht zittriger Hand, dabei verschüttete er Wein. »Der quatscht doch nur.«
Ich hielt ihm den Umschlag mit dem Porträt der Stadl unter die Nase. »Kennst du die?«
Er starrte auf die Zeichnung. Sein Blick wanderte zu Martha. »Ist die von dir?«
Martha nahm das Kuvert, als wollte sie die Zeichnung prüfen. Ich nahm es ihr aus der Hand. »Martha, spiel kein Theater. Die Zeichnung ist von dir, du hast den Brief in meinen Briefkasten gesteckt samt den anderen Zeichnungen. Die Frau auf dem Kuvert ist die Stadl. Wie kannst du sie zeichnen, wenn du sie nicht kennst?« Ich zeigte ihr die beiden anderen Zeichnungen, die im Umschlag gesteckt hatten. Auch diese beiden Zeichnungen schaute sie sich lange an.
»Perfekt.«
»Was meinst du damit?«
»Da hat jemand meinen Stil perfekt kopiert. Diese Zeichnungen sind nicht von mir.« Sie schaute mich offen an. Ich glaubte ihr. »Und die Zeichnung in der Mappe, die du mir vorgestern gegeben hast?«
»Die ist von mir. Die hier nicht.«
»Aber wer sonst soll diese Zeichnungen gemacht haben?«
»Fritz, ich weiß es doch nicht!« Ich schaute Barbara an, die Martha aufmerksam musterte. Ludwig schnüffelte mit seiner langen Nase in dem leeren Weinglas herum. Er ging mir mit dem Geräusch auf die Nerven.
»Ludwig, altes Trüffelschwein!« Er kicherte, hörte aber auf mit der Schnüffelei. Ich konnte nicht abschätzen, wie betrunken er war. Sperenzchen dieser Art betrieb er ständig.
»Ich schaue Martha immer zu, wenn sie zeichnet. Das beruhigt mich so. Die hat das nicht gemalt!« Er deutete mit seinem Zeigefinger auf das Kuvert. »Schade, dass sie nicht von dir sind. Sehr gelungen.«
Ich erinnerte mich an mein Entenkonzert mit Philip und das gleichzeitig stattfindende Cognac-Besäufnis. Als ich im Gästezimmer aufgewacht war und auf der Terrasse nach dem Jungen schaute, lag Marthas Zeichnung neben ihm. Ich musste sie ihm gezeigt haben. Ich konnte mich aber nicht mehr daran erinnern, welche Reaktionen sie in ihm hervorgerufen hatte, wenn überhaupt, und warum ich ihm die Zeichnung präsentiert hatte.
»Ich habe deine Zeichnung Philip gezeigt, dem Sohn von Frau Stadl.«
Barbara sprang plötzlich von ihrem Stuhl auf und umrundete ein paar Mal den Tisch. Abrupt blieb sie stehen. »Willst du damit sagen, dass die Zeichnungen von ihm stammen?« Ihr Ton klang gereizt.
»Hast du eine bessere Erklärung?«
»Fritz, nein! Nein! Habe ich nicht! Das ist es ja! Es ist absurd! Wider jede Vernunft!« Erneut rannte sie um den Tisch. »Das System eines Irren ist für ihn selbst durchaus vernünftig. Man muss es nur lesen können.«
Ich wandte mich an Martha. »Wer ist das da auf deiner Zeichnung? Warum hast du sie mir überhaupt gegeben?« Die Frage war Martha sichtlich unangenehm. Ludwig zog seine Nase aus dem Glas und sah sie fast lauernd an. Offensichtlich war er genauso neugierig wie ich.
»Sag schon, mein Marthalein, Geheimnisse vor deinem Lulu?« Lulu war sein Kosename. Er wollte sich Wein einschenken, goss aber neben das Glas, weil er unverwandt Martha anschaute. »Huch!« Er wischte den verschütteten Wein mit der flachen Hand vom Tisch, trocknete sich die nasse Hand an der Hose ab,
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