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Kindswut

Kindswut

Titel: Kindswut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Senf
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Auf einem der Fotos waren Fricke, die Frau Körner und die Staatssekretärin zu sehen. Fricke hing gefesselt an dem Kronleuchter, den ich schon kannte. Die Staatssekretärin trug Latex und schwang eine Peitsche. Die Dame war wahrhaft wandlungsfähig. In ihrem Kostüm neben der Senatorin sah sie eher bieder aus. Frau Körner spreizte die Beine des Hängenden. Sein Glied hing schlaff zwischen den Schenkeln und zeichnete sich deutlich gegen das Licht einer Lampe ab, die man hinter ihn postiert hatte. Dass Fricke bei dieser Ansicht seiner selbst schockiert war, überraschte mich nicht. Der plötzlich verkniffene Mund der Staatssekretärin angesichts des Leidens von Fricke vor ihren Augen auch nicht. Sie ahnte die Ursache der Frickeschen Deformation. Sie ging einer wackligen Zukunft entgegen. Da halfen kein Latex und kein Peitschenschwingen mehr. Ich stopfte die Fotos und die anderen Papiere in den Briefumschlag. Ich kam nicht dazu, sie zu lesen. Was sollte ich tun? Die Kommissarin hatte bestimmt ein brennendes Interesse an den Papieren. Wenn ich sie ihr gab, waren sie für mich verloren. Ich wollte wissen, was darin stand. Ich beschloss, mich zu verkrümeln. Die Papiere konnte ich ihr noch immer geben. Barbara und die Kommissarin waren umringt von aufgeregten Menschen. Es machte keinen Sinn, sich zu verabschieden. Ich verließ den Saal. Ein Krankenwagen bog mit Blaulicht in die Toreinfahrt ein. Der Kies spritzte unter den Reifen weg und knirschte hässlich. Ich lief bis zur Königsallee und winkte mir ein Taxi. Es brachte mich zum Stutti. Die Stühle vor dem ›Dollinger‹ waren besetzt. Die Nacht war mild. Ich fand einen freien Platz und setzte mich. Ich schaute mich um nach Martha und Ludwig. Ich hätte sie gerne über Fricke und die Staatssekretärin ausgefragt. Es war nicht ausgeschlossen, dass zumindest Martha deren Aktivitäten in der Wohnung der Frau Stadl kannte. Ich dachte an Philip und an die ältliche Frau mit dem dicken Haarknoten, die Fricke vor versammelter Mannschaft angeherrscht hatte. Ein junger Mann hatte den Umschlag mit dem brisanten Inhalt abgegeben. Welcher junge Mann? Philip? Die jungen Leute mit den Tiermasken, die Fricke ein Ständchen gaben, sangen und provozierten nicht zufällig. Nicht ausgeschlossen, dass Philip sie kannte und zu diesem Event animiert hatte. Es waren Spekulationen, denen ich mich hingab. Doris kam. Sie hatte wieder einen vollen, runden Mund. Das verschluckte Gebiss hatte sich offensichtlich wieder eingefunden und saß da, wo es hingehörte. Doris war ganz Wonne. »Einen Rotwein, mein Lieber?«
    »Ja.«
    »Bringe ich dir.« Sie spitzte ihren Mund und flötete beim Abgehen. Ohne Gebiss ging das nicht. Im ›Dollinger‹ war die Welt wieder in Ordnung. Olivia rannte verstört ums Carré und suchte mal wieder ihr Auto. »Nie wieder Alkohol!«
    »Dein Auto hammse doch gerade geklaut!«
    »Ich hab’ doch ’n neues.«
    Am Tresen krakeelte Helen auf ihrem Barhocker. Nach dem sechsten Gin Tonic wollte sie den siebten. Nach dem siebten wollte sie sofort nach Brasilien aufbrechen und dort mit ihrem Team einen geilen Film drehen.
    »Die Wahnsinns-Doku mitten aus dem Urwald!« Vorher erklärte sie Marc das Drehbuch. Er war ihr Kameramann. Er kannte das Drehbuch bis zum Erbrechen auswendig. Jeden Papageienschrei und jedes Affengebrüll. Helen quiekte, quakte und grunzte wie eine Herde Warzenschweine, die durch den Dschungel preschte. Er musste sich die Suada anhören. Immer wieder. Mindestens noch vier weitere Gin Tonics konnte das dauern. Es konnten auch 20 sein. Helens Traum vom eigenen Film in Brasilien konnte eine ganze Nacht bis in den frühen Morgen anhalten. Wenn er Pech hatte, vier Stockwerke hoch bis in ihre Wohnung auf die harte Federkernmatratze, die am Stutti legendär war. Das gehörte zu seinem Job. Kameramänner waren austauschbar. Das wusste er. Da war Helen rigoros. › Da, wo einst die Leber war, steht jetzt meine Mini-Bar ‹ , lautete ihr Wahlspruch.
    Doris brachte den Rotwein. Ich wartete jeden Moment auf den Anruf von Barbara. Oder sie tauchte gleich hier auf, gemeinsam mit der Kommissarin. Sie konnten sich denken, warum ich so schnell das Weite gesucht hatte. Der Papiere wegen, die auf Herrn Fricke so verstörend gewirkt hatten wie die Bombe in meinem Briefkasten auf den Briefträger. Es war nicht lebensbejahend, was ich aus dem Umschlag holte. Es lag ein handgeschriebenes Briefchen dabei, auf dem eine Zeichnung war, deren Stil ich kannte. Mit dem Bleistift so

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