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Kindswut

Kindswut

Titel: Kindswut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Senf
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Jetzt hat der Angehörige die Verfügungsmacht. Jetzt ging alles rucki zucki. Jetzt ging der alte Sack, Wunder über Wunder!, unerwartet schnell hopp und ex, das Lebenslicht wie von fremden Winden ausgeblasen. Es konnte auch ein Galgen oder ein Kronleuchter gewesen sein. Lieber Angehöriger, nach so viel mühsamer Reanimation deiner Erbrechte: jetzt aber fifty-fifty auf die Kralle dalli dalli von Fricke und Stadl. Allen Namen zugeordnet waren Adressen und Kontoauszüge. Da war sehr viel Geld geflossen. Allein das Konto von Fricke hatte einen Abfluss von über 20 Millionen Euro, dafür aber einen Rückfluss von über 30 Millionen. Auf das Konto der Staatssekretärin waren in drei Jahren nahezu eine Million Euro überwiesen worden. Das war eine deutliche Aufbesserung des Salärs einer Staatssekretärin, das bei monatlich etwa 8.000 Euro liegt. Den Vogel von allen aber schoss Frau Stadl ab. Sie hatte die Superkralle. Eine Bärentatze von der Größe eines Baggers, der in den letzten drei Jahren über 50 Millionen Euro aufs Stadlsche Land geschaufelt hatte. Ihre Gier musste groß sein. Elektrisierend war die Liste der Sterbefälle. Insgesamt waren 68 aufgeführt. Alle namentlich. Die Toten wurden von einem Beerdigungsinstitut eingeäschert. So stand es wortwörtlich auf der Liste. Eingeäscherte Leichen hinterließen keine Spuren der Sterbenachhilfe. Der Arzt kam, stellte den Totenschein aus und ab ins Krematorium. Letzte Heimat. Dann Verbrennung. Umschüttung in die Urne. Dann ab die Post. Ankunft der Asche im Himmel ohne Rückstände. Und noch eine Liste gab es. Es war die der Frauen, die ins Schlachtengetümmel an die vorderste Alte-Säcke-Sturm-Front geworfen worden waren. Vermutlich fand die Hauptschlacht, das große Hauen, Anstechen und Anbaggern im Studio 2 statt, ehe es zum großen Gelage auf der Walstatt der Abkassierer kam. Die Zahl der vermittelten Frauen überschritt 200 bei Weitem. 68 von ihnen waren inzwischen, wie die Liste der Sterbefälle belegte, trauernde Witwen im Genuss der Nachlässe. Wie hoch war ihr Anteil daran? Zahlen fehlten. Frau Stadl schätzte ich als eher knauserig ein.
    Die Namen von Standesbeamten waren aufgeführt, die den jeweiligen alten Sack und die entsprechende Frau – bis dass der Tod euch scheide – vereinigt hatten. Auch sie erhielten Geld. Weniger als die Hauptnutznießer, aber immer noch nette Sümmchen. Pro Trauung waren es etwa 500 Euro, die der Standesbeamte einsackte. Auch die Standesämter waren aufgeführt, auf denen die Beamten in die eigene Tasche wirkten. Ich dachte an die Unterwasserkanalisation Berlins, in der die Ratten hausten. Es waren penibel geführte Rattenlisten, die ich vor mir hatte. Ich hatte nicht den geringsten Zweifel daran, dass Philip der Lieferant all dieser Unterlagen war. Die Quelle war seine Mutter. Wie sonst gelangte er an diese hochpeinlichen Unterlagen, mit denen er die Berliner Gesundheits- und Pflegedienste samt der dazugehörigen Verwaltung schwer erschüttern konnte? Frau Stadl war der Kopf des weit verzweigten Unternehmens. Einer Krake gleich hatte sie sich in allen möglichen Institutionen eingenistet, um alte, begüterte Männer ihrer Entsorgung und letzten nutzbaren Verwertung zuzuführen. Philip agierte mit großer Energie. Woher nahm er die? Ein würdiger Kronprinz seiner Mutter, der zum Rachefeldzug gegen diese Mutter und ihre Kumpanen angetreten war. Lebte die Stadl noch? Mein Gefühl sagte mir, dass er sie aufsparte für ein letztes, finales Spektakel. Seht her, alle sind getilgt, jetzt ist sie, die Mutter aller Kraken, selbst an der Reihe. Warum überhaupt hatte sie mich gebeten, in ihrer Wohnung die Aufsicht über ihren Sohn zu übernehmen? Sie musste damit rechnen, dass ich ihre Geschäfte aufdeckte. Das alles entbehrte jeder Logik. Meine Vorstellungskraft versagte. Der böse Teufel leibhaftig war in der Gestalt der Frau Stadl auf die Erde zurückgekehrt. Der Teufel hatte keine Logik. Das war sein Privileg. Ich musste den Teufel nicht verstehen. Ich musste auch Philip nicht verstehen. Ich musste ihn finden. Er hatte eine breite Spur gelegt. Ich brauchte ihr nur zu folgen.
    In der Hölle saßen sie in Kupferkesseln und wurden unter ständigem Umrühren des großen Holzlöffels über einem mächtigen Feuer gar gesotten, bis ihnen das weiche Fleisch von den Knochen fiel. Ich stellte mir die Staatssekretärin im halbgaren Zustand vor. Auf ihrer Brühe schwammen jede Menge Fettaugen. Die Gebeine mit dem Restfleisch ragten

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