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Kindswut

Kindswut

Titel: Kindswut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Senf
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Vorgehensweise, bildete ich mir ein. Das Geständnis war die Rechtsordnung. Zumindest, was Philip darunter verstand.
    Eine Hinrichtungswelle zog sich durch Berlin. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Allein Klaus Frank hatte 18 alte Männer auf dem Gewissen. Es gab noch eine Menge weiterer Kandidaten, die auf das Standgericht Neuhaus–Philip warteten. Niemand konnte uns folgen. Ich hatte die Unterlagen. Sonst niemand. Ich holte sie aus der Innentasche meiner Jacke. Das Institut Wildwasser war in der Budapester Straße. Ich nahm mir ein Taxi. Ein Fieber hatte mich gepackt. Ich folgte der vorgegebenen Spur Philips. Es war blanker Wahnsinn. Wo war das Ende? Es war keines in Sicht. Noch winkte ich mir nicht befreit zu. Welche Freiheit? Philip tobte seine Abgründe aus. Ich tobte mit. Es gab keine Klarheit. Die würde es nie geben. Das war der Makel. Ich war trotzdem auf den Zug aufgesprungen. Ohne Ticket. Die Schalter waren längst geschlossen. Es gab keinen Schaffner mit diesem Namen. Ich machte mir keine Illusionen.
    Noch wiegte sich die Nacht zwischen den Bäumen. Die ersten fahlen Streifen der Morgendämmerung lugten zwischen den Ästen. Kinder lugten durch die Finger, wie aus einem Versteck, wenn Fremde kamen, um sie zu sehen und sich hinter dem Gitter ihrer Finger vor ihnen zu schützen. Was machten die ohne Finger? Eine Amsel sang, eine Nachtigall schlug, Spatzen schimpften, Fledermäuse torkelten und kurvten halsbrecherisch. Ich hatte Heimweh. Ich wusste nicht, wohin.

  Kapitel 10
    Es war kein Türwächter, der im schwarzen Anzug mit Leichenbittermiene bleich und vergrämt an der Pforte des Todes stand. Sie war hellblond, das Haar reichte ihr fast bis zur Hüfte, ein wahrer Wasserfall, sie strahlte, ihre weißen Zähnchen blitzten, und die Schenkel und der Hintern, die den engen, schwarzen Rock kurvig stramm modellierten, waren atemberaubend. Wildwasser als Namen des Institutes passte zu ihr. Ich spürte sie auf meiner Zunge prickeln.
    »Was kann ich für Sie tun?«
    »Ich muss Sie dringend sprechen!«
    »Ist es wirklich so dringend? Wir haben Zeit!«, lächelte sie mich an, »die der Toten.« Ich musste mir Gewalt antun, um nicht ständig auf diese Rundungen zu stieren, als sie mich in ihr Büro bat und vor mir herlief. An Tote dachte ich nicht. Ich fühlte mich eher sehr lebendig. Ich dachte heftig an Froschschenkel, die mit viel Knoblauch, fein gehackten Schalotten und Petersilie in Olivenöl kross gebraten wurden. Froschschenkel erinnerten mich an die Beine von Tänzerinnen, wenn sie auf Spitze nur mit Unterleib zur Musik von Schwanensee in der heißen Pfanne tanzten und auf den Tisch gestellt wurden. Bon appétit, Monsieur. Es half nichts. Die Assoziation von Froschschenkeln lenkte mich nicht ab. Mein Blick blieb auf ihr haften und löste sich erst, als sie sich hinter ihren Schreibtisch setzte. Es war wie eine Erlösung.
    Angetroffen hatte ich sie im Ausstellungsraum bei dezentem Licht und leiser Musik. Särge und Urnen waren ausgestellt, in Vitrinen und Regalen lagen Totenhemden, solche mit Rüschen oder gefältelte mit Knopfleisten. Ich kam nicht dazu, sie mir näher anzusehen. Es hätte mich schon interessiert, in welchem Gewand der Mensch vor seinen Herrgott treten sollte. Jetzt saß sie hinter ihrem Schreibtisch und ich vor ihr in einem weichen, schwarzen Ledersessel. Ein zweiter Ledersessel stand nicht da. Es waren die Einsamen, Verlassenen, die Hinterbliebenen, die zu ihr kamen. Ein Sessel reichte. Der Tisch und der Sessel waren das einzige Mobiliar in dem dezent ausgeleuchteten Raum. Auf den Schreibtisch waren mehrere kleine Spots gerichtet, ohne dass sie die Sitzenden blendeten. Der Schreibtisch bestand aus einer riesigen Marmorplatte auf einem extrem schlanken, mittigen Chromsockel, der unter der Wucht der Marmorplatte wegzuknicken drohte. Ich wollte unter die Tischplatte schauen, um zu sehen, wie der Sockel mit der Platte verbunden war. Ich unterließ es und war stattdessen mit einem satten Dekolleté konfrontiert, das sie irgendwoher in ihre schwarze, tief ausgeschnittene Bluse gezaubert hatte. Wahrscheinlich war es mir bei dem Rundblick zuvor nicht aufgefallen. Die Brüste waren durch den BH, den man nicht einmal ahnte, etwas hervorgehoben, eine prachtvolle Wölbung rundete sich, oder trug sie gar keinen BH? Aber wie hoben sich dann die Brüste derart extravagant? Die Haut glänzte und war durch die Anhebung glatt und straff. In dem süßen Nestchen zwischen den Brüsten lag ein dunkelrotes Ei von

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