Kindswut
schwarze Flecken, die mit der Zeit trockneten. Dann konnte man sie leicht von der Wand kratzen. Mit Blut vollgesogene Stechmücken hinterließen blutige Flecken. Das sah hässlich aus und man musste von Zeit zu Zeit die Wand oder die Tapete neu übertünchen. Den Hosenscheißer vor mir konnte ich so lange gegen die Wand klatschen, bis er daran kleben blieb. Ich riss mich los von diesen Gedanken. Sie beunruhigten mich. Aber irgendwoher mussten sie ja gekommen sein. Tief in mir fühlte ich immer ein Tosen. Ein unterirdischer wilder Mahlstrom, der grollend in mir rauschte, ein dauerndes Drohen, von ganz weit her, als gäbe es den Mahlstrom nicht, der aber unüberhörbar da war.
Er hatte mitbekommen, dass ich für einen Moment abwesend war. Immerhin war er Arzt mit einem gewissen Blick für Menschen. Er beäugte mich nach einer Schwachstelle, die ihm aus der Klemme helfen könnte. Das war mir unangenehm.
»Jetzt reden Sie schon!«, fuhr ich ihn an. Sein Lauerblick währte nur kurz. Er wurde wieder devot. Seine Stimme säuselte. Er rang seine Finger wie ein Trödelhändler, der auf Gedeih und Verderb seinen letzten Ramsch verhökern wollte.
»Alte Menschen können plötzlich wieder eine erstaunliche sexuelle Energie entwickeln, die man kaum noch für möglich gehalten hätte. Ein echtes, streng tabuisiertes Problem. Grapschereien ohne Ende in Altersheimen. Von Männern und Frauen. Das macht keinen Unterschied. Das Personal ist dem mehr oder weniger hilflos ausgesetzt.« Er fummelte sich ein Päckchen Zigaretten aus der Jackentasche und steckte sich eine an. Er paffte vor sich hin. Die Asche fiel auf den wertvollen Teppich. Sein Redefluss schien wieder unterbrochen. Mir kam eine Ahnung. Fricke hatte vor seinem Ableben einen Vortrag über Alterssex halten wollen.
»Hat das was mit Fricke zu tun?«
»Fricke?« Er schaute mich an, als hätte er den Namen noch nie gehört. Er musste ihn gehört haben. Natürlich kannte er Fricke.
»Markieren Sie nicht den Ahnungslosen. Er wollte heute Abend einen Vortrag über Alterssex halten. Er bekam zu Beginn des Vortrages die Informationen, die Sie gerade gelesen haben. Vor Schreck darüber erlitt er einen Herzinfarkt und starb. Erzählen Sie, was Sie wissen. Kennen Sie die Staatssekretärin Vera Kalb?« Er nickte bejahend. »Bei der war ich gerade. Nach der Lektüre der Unterlagen hat sie sich eine Kugel gegeben. Ihnen blüht etwas Ähnliches.« Er glotzte wieder wie der Frosch, dem der Präparator mit dem Skalpell gerade die Haut abzog. Er schluckte und kurbelte seinen Redefluss wieder an.
»Fricke hatte die Idee mit dem gesteigerten Alterssex. Das muss doch bedient werden, eine wahre Goldgrube, sagte er. Meine Kategorie waren Alte mit einer sexuellen Hyperaktivität, verbunden mit einer Herzinsuffizienz. Es gab noch mehr Kategorien. Die Sado-Maso-Anhänger. Die romantisch Veranlagten. Die Demenzkranken mit einer sexuellen Hyperaktivität. Manche Bereiche mischten sich. Man verpasste denen mit einer Herzinsuffizienz eine Überdosis Viagra. Unterzog sie der Präparierung, wie es auf der Zeichnung, auf den Fotos dargestellt wird. Der Galgen war eine beliebte Methode. Der Kronleuchter ebenso. Es waren effiziente Arbeitsgeräte. Das hatte für manche Kunden fatale, wohl einkalkulierte Folgen. Das Herz versagte. Es kam zum Tod. Diese Methode funktioniert über kurz oder lang immer. Eine reine Geduldsfrage. Ich stellte den Totenschein aus.« Er nannte sie Kunden. Er dozierte wie ein Professor im Hörsaal vor seinen Studenten. Kalt wie eine Hundeschnauze.
»Wie viele Totenscheine haben Sie ausgestellt?« Er zögerte einen kurzen Moment.
»Es waren 18.«
»Warum wollte Fricke diesen Vortrag über Alterssex vor diesem erlauchten Forum halten?«
»Die Menschen mit Alterssex vertraut machen. Er hatte auch die Idee von Behindertensex. Es gibt betuchte Behinderte. Darüber sprechen, reden, sagte er. Das Tabu aufweichen. Das Publikum an Kollateralschäden gewöhnen. Kommt es zu Entgleisungen, mein Gott, ja, das gehört dazu. Eine Überdosis Viagra. Drogen. Amphetamine. Sado-Maso-Spiele. Herzinfarkt. Das passiert dann nun mal. Mein Gott! Warum treiben sie es auch so heftig.« Ein schiefes Lächeln deutete sich um seinen Mund an. Er dachte nicht anders als Fricke. Ich löschte das Lächeln mit einem Faustschlag aus. Blut sickerte aus seinen Mundwinkeln. Seine Oberlippe und die Nase ruckelten nervös rauf und runter und gaben seine Schneidezähne preis. Er hatte jetzt ein
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