King City: Stadt des Verbrechens (German Edition)
Wade diese Versetzung als Demütigung empfinden und er sich dadurch veranlasst sehen würde, den Dienst zu quittieren, zeigte das nur, wie wenig der Mann ihn kannte, obwohl sich das doch eigentlich schon in geradezu dramatischer Weise erwiesen hatte.
Er war stolz auf seine Uniform. Und darum tat er, was er tat, und gab auf, was er aufgeben musste. Sein Vater hat ihm beigebracht, dass man immer einen Preis dafür zu zahlen hatte, wenn man für die Dinge einstand, an die man glaubte. Doch wich man aus Bequemlichkeit zurück, hörte die Seele nie wieder auf zu bluten.
Es war üblich, wenn auch nicht vorgeschrieben, dass Polizisten in King City eine Kevlarweste unter ihrer Uniform trugen. Die meisten taten es. Wade dagegen trug nur ein weißes T-Shirt, das er am Abend zuvor sorgfältig gebügelt und leicht gestärkt hatte.
Er legte sein Dienstkoppel an und schlang die Lederschlaufen um den schwarzen Gürtel, der seine Hose an ihrem Platz hielt. Normalerweise besaß jedes Koppel vier dieser Schlaufen, zwei vorn und zwei hinten. Doch Wade hatte sich auf jeder Seite seines Holsters noch zusätzlich eine annähen lassen, damit es fester saß und er schnell und sicher seine Glock ziehen konnte. Eine zweite Waffe steckte in einem Wadenholster, doch die hatte er noch niemals gebraucht.
Außerdem hingen an seinem Koppel Handschellen, ein Handy, ein Teleskopschlagstock, eine winzige Taschenlampe, eine Dose Pfefferspray mit einem Stück Klebestreifen, auf dem in Alisons Handschrift »Bat-Hai-Abwehr« stand und daneben ein Bild, das entfernt dem Batman-Logo von 1960 ähnelte. Vor Jahren hatte sie die Dose in einem verspielten Moment beschriftet, und er hatte nicht die Absicht, das Klebeband jetzt abzuziehen. Ein voll ausgestattetes Koppel wog ungefähr elf Kilo. Es gab mehr Cops, die wegen Rückenproblemen durch das schwere Koppel dienstunfähiggeworden waren als durch Verletzungen, die sie sich bei Schießereien oder Autounfällen zugezogen hatten.
Wade jedoch mochte das zusätzliche Gewicht.
Für ihn bedeutete es keine Strafe, wieder in die blaue Uniform zu schlüpfen. Es glich mehr einer Therapie. Es war genau das, was er jetzt brauchte. Mehr als je zuvor.
Wade war achtunddreißig Jahre alt, aber er fühlte sich älter und sah auch älter aus. Erste graue Strähnen durchzogen sein Haar, obwohl sie kaum noch auffielen, nachdem er sich einen militärischen Kurzhaarschnitt hatte verpassen lassen.
Aber in seinem Blick lag eine große Tiefe, und seine ganze Erscheinung strahlte eine Kraft aus, die von Lebenserfahrung zeugte und den Eindruck vermittelte, als habe er schon viele Jahre länger gelebt. Jahre, die Narben hinterlassen und schützende Hornhaut gebildet hatten, die sich allerdings weniger zeigten, wenn er seine Marke lediglich in der Tasche hatte und seine Uniform aus einem Anzug von der Stange bestand.
Ein letztes Mal sah er sich in dem kleinen Hotelzimmer um, weil er sicher sein wollte, dass alles in Ordnung war und er nichts vergessen hatte.
Das Badezimmer war aufgeräumt, die Handtücher gefaltet, sein Bett gemacht, obwohl das alles eigentlich zu den Aufgaben des Zimmermädchens gehörte. Aber er hasste es nun mal, Unordnung zu hinterlassen.
Zufrieden mit dem, was er sah, griff er nach seiner Brieftasche, verließ das Zimmer und ging über die Treppe ein Stockwerk tiefer in die saubere, moderne und völlig belanglos eingerichtete Lobby.
Es war ein Stil, den Alison als »modernes Wohnmobil« bezeichnet hätte. Es gab ein paar Sofas, die mit dem gleichen geblümten Stoff bezogen waren, aus dem auch die Tagesdecke in seinem Zimmer bestand. Dazu einen Fernseher, auf dem CNN lief, und ein paar künstliche Topfpflanzen, die aber immer noch lebensechter wirkten als die ständig lächelnde junge Frau hinter dem mit Resopal verkleideten Empfangstresen.
Die Lobby ging in einen kleinen Speiseraum über, wo ein im Zimmerpreis inbegriffenes »kontinentales Frühstück« serviert wurde. Wade hatte keine Ahnung, was an trockenem Toast, trockenen Bagels, winzigen Schachteln mit trockenem Müsli und in Würfel geschnittenem Obst aus der Dose, das in einer riesigen Salatschüssel mit Zuckerwasser schwamm, »kontinental« sein sollte.
Das Frühstücksbuffet war fürchterlich, trotzdem war der Speiseraum jeden Morgen voller durchreisender Geschäftsleute und Familien, die Urlaub machten.
Wade konnte nicht verstehen, wieso Menschen derart begeistert anstanden, um etwas so Ekelhaftes und Ungenießbares zu essen, nur weil es
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