King of the World
dieser Debatte spürte man, daß etwas in Bewegung geraten war.«
Am frühen Nachmittag fuhr Lipsyte zu Alis Haus, einem flachen Betonbau in einem schwarzen Viertel. Die beiden Männer setzten sich hinaus auf den Rasen auf Plastikstühle. Ali war im Training, hatte an dem Tag aber schon Schluß gemacht. Die Schule war gerade aus, und Ali betrachtete die vorbeigehenden High School-Mädchen und kommentierte sie auf harmlos-beiläufige Art und Weise. Ein paar von Alis Muslim-Freunden waren da – Captain Sam und einige andere –, und einer kam heraus und sagte, Ali werde am Telefon verlangt. Es war eine der Nachrichtenagenturen. Der Reporter sagte Ali, die Armee habe während der Erhöhung ihrer Truppenstärke in Vietnam die Kriterien geändert; seine Note bei dem Eignungstest sei nun gut genug. Ali sei wiederum neu eingestuft worden. Er sei jetzt wieder 1-A. Er könne bald mit einem Anruf von seiner Musterungsbehörde rechnen. Ob er dazu etwas sagen wolle?
»Ali kam wieder heraus, und seine Stimmung war vollkommen umgeschlagen. Er schäumte vor Wut«, sagte Lipsyte. »Bis zu dem Moment dachte ich, wie schön es doch war, daß man in dieses Refugium eintreten konnte, wo die Zeit stillstand, wo nichts etwas mit dem Krieg zu tun hatte. Ich war bei der Armee gewesen, in Fort Dix, wo ich über tapfere Köche in New Jersey schrieb. Ich hatte die Abschiedsredebeim Schreibstubenlehrgang gehalten. Da war ich schon Reporter bei der
Times
. Meine Artikel waren so brillant, daß der
Philadelphia Inquirer
mir eine Stelle anbot. Ich verstand den Krieg eigentlich gar nicht. Ich hatte so eine Ahnung, daß Fulbright recht hatte und der Krieg ein Unrecht war, aber so ganz stand ich da noch nicht dahinter. Ich war achtundzwanzig und machte eine Karriere als Sportreporter.
Ali wußte noch weniger über den Krieg als ich. Der kam auf seinem Radarschirm überhaupt nicht vor. Als er immer wieder hineinging und Anrufe entgegennahm und dann die Übertragungswagen angerollt kamen, begann der Muslim-Chor zu glucksen. Sie waren alle in der Armee gewesen. Sie waren alle nach einer schweren Zeit zu den Muslims gestoßen, nach dem Knast, nach der Armee, und sie erzählten nun Ali: ›Klar, die Weißen machen mit dir, was sie wollen.‹ Sie sagten ihm, daß ihm irgend so ein Rassisten-Sergeant eine Handgranate in die Hose stecken und ihm die Eier wegfetzen würde.«
Die Anrufe kamen jetzt nonstop. Es war ein großes Thema; Erinnerungen an andere junge Sportler und Popstars, die man auf dem Höhepunkt ihrer Karriere einberufen hatte, wurden wach, an Joe Louis, Ted Williams, Elvis Presley. Doch hier lag die Sache anders, hier ging es um Vietnam, und das war viel undurchsichtiger, viel verwirrender. Mittlerweile war er es gewohnt, zur Rassenpolitik befragt zu werden, nun aber hörte er neue Fragen: Was halten Sie von LBJ ? Wie stehen Sie zur Einberufung? Was halten Sie vom Krieg? Was vom Vietcong? Eine Weile stockte Ali.
»Und plötzlich traf er genau den Ton«, erinnerte sich Lipsyte.
»Mann«, sagte Ali schließlich zu einem Reporter, »I ain’t got no quarrel with them Vietcong« – »Ich hab keinen Ärger mit den Vietcongs.«
Dieser Satz kam so schnell herausgeschossen, daß Lipsyte, der sich gerade zum Schreiben hinsetzte, ihn gar nicht mitbekam. »Keine Frage, die Geschichte hab ich verbockt.« Doch genügend Zeitungen und Fernsehstationen brachten das Zitat, so daß es sogleich zum geflügelten Wort wurde. Schließlich brachte es auch die
New York Times
. Wie schon davor und auch immer wieder in der Zukunft war Ali der Hauptdarsteller in seinem eigenen improvisierten amerikanischen Drama. Mochte er auch nicht einmal in der Lage gewesen sein, Vietnam auf der Landkarte zu finden, und auch so gut wie nichts über die Kriegspolitik wissen, reagierte er doch wie im Ring mit Schnelligkeit und Witz, als er mitten in die nationale Agonie hineingestoßen wurde:
I ain’t got no quarrel with them Vietcong
.
»Es war
der
Augenblick für Ali«, sagte Lipsyte. »Für den Rest seines Lebens sollte er wegen dieses Satzes, der wie eine vorbereitete Erklärung wirkte, jedoch gänzlich improvisiert herauskam, geliebt und gehaßt werden.« Wie schon davor und auch danach hatte Ali seine Gabe, intuitiv und schnell zu handeln, unter Beweis gestellt, und diesmal handelte er auf eine Weise, die seine ganze Ära charakterisierte, mit ihrem Widerstand gegen die Obrigkeit, ihrem Beharren darauf, daß Loyalität dem Land gegenüber weder automatisch noch absolut
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