Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren
Eine Zigarette, ebenfalls rosa gerändert, war auf dem Unterteller ausgedrückt worden. Ich blickte mich um. Niemand schien sonderlich auf mich zu achten. Rasch ging ich durch eine Passage, die den Hof mit der Rückseite des Gebäudes verband.
Sharons Appartementnummer stand auch auf der Hintertür, und es gab in Abständen noch vier weitere Hintereingänge. Sie führten jeweils auf ein schmales, von schulterhohen Schlackensteinmauern umschlossenes Rechteck, vermutlich, um die Illusion kleiner Patios zu schaffen. Die Müllcontainer standen draußen, auf dem Gehweg vor der Mauer. Sharons Küchenvorhänge waren geschlossen. Vorsichtig betrat ich ihren Patio. Sie hatte sechs Geranientöpfe entlang der Türstufe aufgestellt. Zwei Klappstühle aus Aluminium lehnten an der Wand, ein Stapel alter Zeitungen neben der Tür. Es gab ein Fensterchen rechts und ein größeres Fenster dahinter. Ich konnte nicht abschätzen, ob es ihr Schlafzimmer oder das ihrer Nachbarn war. Ein Blick hinüber auf das unbebaute Grundstück, dann trat ich sachte aus dem Patio und bog links auf den Fußweg, der wieder in die Straße mündete. Ich stieg in mein Auto und fuhr zum Fremont.
Es war, als hätte ich es nie verlassen. Die Dame in Königsblau klebte immer noch an dem Vierteidollar-Automaten, ihr Haar zu einer glänzenden, mahagonibraunen Fockenpracht aufgetürmt. Die gleiche Menschenmenge schien, wie von Magnetkraft, um den Würfeltisch zusammengedrängt, wo der Croupier mit seinem Stöckchen Chips hin und her schob, als wäre es ein Besen und jemand hätte ihm den Tisch versaut. Kellnerinnen gingen mit Getränken herum, und ein stämmiger Mann, den ich dem zivilen Sicherheitsdienst zuordnete, bemühte sich, mit der Miene eines vom Glück verlassenen Touristen umherzuwandern. Aus der Carnival Hall konnte ich die etwas zu tiefe Stimme einer Sängerin hören, die ein schwungvolles Potpourri von Broadway-Melodien präsentierte. Ich bekam sie flüchtig zu sehen, wie sie Gefühle in den halbleeren Raum warf, ihr Gesicht ein strahlendes Rouge unter dem Spotlight.
Sharon Napier war nicht schwer zu finden. Sie war groß, vielleicht einsachtundsiebzig oder mehr in ihren hochhackigen Schuhen. Sie gehörte zu der Sorte Frauen, die man von unten herauf wahrnimmt: lange, wohlgeformte Beine, betont schlank in schwarzer Netzstrumpfhose und einem kurzen schwarzen Rock, der sich an den Schenkeln glockig erweiterte. Sie hatte schmale Hüften, einen flachen Bauch, die hochgeschubsten Brüste bildeten zwei ausgeprägte Hügel. Das Oberteil ihres schwarzen Dresses war eng und tief ausgeschnitten. Über der linken Brust war ihr Name eingestickt. Ihre Haare waren aschblond, farblos im Neonlicht, die Augen von einem unheimlichen Grün, einem Leuchten, das ich auf getönte Kontaktlinsen zurückführte. Ihre Haut war hell und makellos, das Oval ihres Gesichts weiß wie Eierschale und von ebenso feiner Struktur. Ihre Lippen waren voll und breit, wobei der leuchtend rosa Lippenstift die üppigen Ausmaße noch unterstrich. Es war ein Mund, geschaffen für unnatürliche Akte. Etwas an ihrem Auftreten verhieß kühlen, improvisierten Sex zum richtigen Preis, und das würde nicht billig sein.
Sie gab die Karten mechanisch, mit erstaunlicher Geschwindigkeit. Drei Männer saßen auf Hockern um den Tisch, an dem sie arbeitete. Keiner sprach ein Wort. Die Kommunikation bestand aus einem winzigen Heben der Hand, aus umgedrehten oder unter stattliche Einsätze gelegte Karten, einem Schulterzucken, wenn die dritte Karte kam. Zwei verdeckt, eine offen. Flop, flop. Ein Mann scheuerte mit dem Rand seiner aufgedeckten Karte an der Tischplatte und verlangte noch eine. Bei der zweiten Runde deckte ein Mann einen Black Jack auf, und sie zahlte aus — Spielmarken im Wert von zweihundertfünfzig Dollar. Ich konnte sehen, wie seine Augen Sharon in sich aufnahmen, als sie die Karten zurückholte, schnell mischte und von neuem austeilte. Der Mann war dünn, mit einem schmalen, angehend kahlen Kopf und dunklem Schnurrbart, aufgerollten Hemdsärmeln, schweißbenetzten Unterarmen. Sein Blick wanderte an ihrem Körper hinunter und wieder hoch zu dem makellosen Gesicht, kalt und weiß, den funkelnden, grünen Augen. Sie schenkte ihm keine besondere Aufmerksamkeit, aber ich hatte das Gefühl, daß sich die beiden später noch näherkommen würden. Ich zog mich an einen anderen Tisch zurück und beobachtete sie aus einer günstigen Entfernung. Um halb zwei machte sie eine Pause. Ein anderer
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