Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren
Von drinnen kam kein Laut. Was sollte ich machen, wenn jemand da drin war?
Ich ging über den kurzen Fußweg, der um das Gebäude herum auf die Rückseite führte. Irgendwo im ersten Stock konnte ich eine Stereo-Anlage hören. Mein Kreuz tat weh und meine Wangen fühlten sich so heiß an, als käme ich gerade von einem Lauf, aber ob es von Grippe oder von Angst herrührte, wußte ich nicht. Ich ging schnell und leise über den hinteren Fußweg. Sharons Küche war die einzige von den fünf, die im Dunkeln lag. Eine Kugelleuchte brannte über jeder Hintertür und warf ein schwaches, aber klares Licht auf die kleinen Patios. Ich probierte die Hintertür. Verschlossen. Ich klopfte an das Glas.
»Sharon?« Ich horchte auf Geräusche aus dem Inneren der Wohnung. Alles war still. Ich schaute mich am Eingang um. Wenn sie Ersatzschlüssel draußen hatte, mußten sie irgendwo in der Nähe versteckt sein. Ich blickte zurück auf die kleinen Glasscheiben an ihrer Hintertür. Sollte es gar nicht anders gehen, konnte ich eine herausbrechen. Ich ließ meine Finger über die Oberkante des Türrahmens gleiten. Zu schmal für Schlüssel. Die Blumentöpfe sahen alle unschuldig aus, und eine rasche Prüfung zeigte, daß nichts im Erdreich versteckt war. Eine Fußmatte gab es nicht. Ich hob den Packen alter Zeitungen hoch und schüttelte sie kurz, aber Schlüssel fielen keine heraus. Die Schlackensteinmauer um den Patio bestand aus durchbrochenen »Schmuckziegeln« von einem Fuß im Quadrat; ihre Muster waren vertrackt genug, um ein geräumiges, wenn auch nicht originelles Versteck für einen Schlüssel zu bieten. Ich hoffte, nicht jeden einzelnen absuchen zu müssen. Wieder schaute ich auf die kleinen Glasscheiben und fragte mich, ob es nicht angebracht wäre, mit geschützter Faust eine herauszuhauen. Ich sah nach unten. Eine Plastik-Gießkanne und ein Hohlspatel standen direkt vorn in der Ecke der Mauer. Ich hockte mich hin und ließ die rechte Hand in die einzelnen Schnörkel des Ecksteins gleiten. In einem war ein Schlüssel.
Ich langte hoch und gab der Kugelleuchte über ihrer Hintertür eine kurze Drehung nach links. Der Patio war in Dunkel getaucht. Ich steckte den Schlüssel ins Schloß und öffnete die Tür einen Spaltweit. »Sharon!« flüsterte ich belegt. Ich war versucht, das Appartement im Dunkeln zu lassen, aber ich mußte wissen, ob ich allein war. Ich hielt die Taschenlampe wie eine Keule und tastete nach links, bis ich einen Schalter fand. Das zurückgesetzte Licht über der Spüle ging an. Den Schalter für die Deckenbeleuchtung der Küche sah ich an der Wand gegenüber. Ich durchquerte das Zimmer und knipste ihn an, duckte mich und ging in Deckung. Mit dem Rücken zum Kühlschrank kauerte ich da und hielt die Luft an. Ich lauschte angestrengt. Nichts. Ich hoffte bloß, daß ich mich nicht total lächerlich machte. Soweit ich wußte, konnte das Geräusch, daß ich gehört hatte, der Knall eines Champagnerkorkens gewesen sein, und Sharon war vielleicht in dem verdunkelten Schlafzimmer und vollzog unerlaubte Sexualakte mit einem kleinen Zirkushund und einer Peitsche.
Ich spähte ins Wohnzimmer. Sharon lag in einem smaragdgrünen Verlours-Morgenrock ausgestreckt auf dem Wohnzimmerboden. Sie war entweder tot oder fest am Schlafen, und ich wußte immer noch nicht, wer sonst noch mit mir in dieser Wohnung sein mochte. Ich ging in zwei Schritten zum Wohnzimmer hinüber, drückte mich flach an die Wand und wartete einen Moment, ehe ich wieder in den dunklen Flur hinausschaute. Ich sah keinen Fitzel. Ich fand einen Lichtschalter direkt links von mir und knipste ihn an. Der Flur wurde von Licht überflutet, und der Teil des Schlafzimmers, den ich sehen konnte, schien leer zu sein. Ich tastete nach dem Schlafzimmerschalter, knipste ihn an und sah mich rasch um. Die offene Tür nach rechts mußte das Bad sein. Es gab keinen Hinweis darauf, daß die Wohnung geplündert worden wäre. Die Schiebetüren des Wandschranks waren zu, und das gefiel mir gar nicht. Aus dem Badezimmer kam ein leises metallisches Geräusch. Ich erstarrte. Mein Herz tat einen Satz und einen halben, und ich tauchte weg. Ich und meine Taschenlampe. Ich wünschte wie der Teufel, ich hätte die Pistole mitgenommen. Das kleine metallische Quietschen setzte wieder ein und nahm einen Rhythmus an, der mir plötzlich bekannt vorkam. Ich schlich zu der Tür hinüber und leuchtete hinein. Da lief eine gottverdammte kleine Maus auf ihrem Tretrad rund. Der Käfig
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