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Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren

Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren

Titel: Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Gräben hineinzustarren, die von ehemaligen Flüssen gebildet wurden, und ich staune nicht über Löcher im Erdboden, wo einst Meteore niedergegangen sind. Fahre ich irgendwohin, sieht das für mich immer ziemlich gleich aus. Ich starre auf die betonierte Fahrbahn. Ich beobachte den gelben Strich. Ich hänge mich an dicke Brummis und an Pkws, in denen kleine Kinder auf dem Rücksitz schlafen, und ich trete das Pedal durch, bis ich mein Ziel erreiche.

12

    Bis Las Vegas glitzernd am Horizont auftauchte, war es weit nach Mitternacht, und ich fühlte mich steif. Bewußt vermied ich den Strip. Ich hätte die ganze Stadt vermieden, wenn ich gekonnt hätte. Ich spiele nicht, da ich keine natürliche Begabung für Zeitvertreib habe und schon gar nicht neugierig auf ihn bin. Das Leben in Las Vegas entspricht genau meiner Vorstellung von einem eventuellen Leben in unterseeischen Städten. Tag und Nacht bedeuten nichts. Die Menschen ebben und fluten ziellos, wie von unsichtbaren warmen Strömungen bewegt, die schnell und unangenehm stark sind. Alles besteht aus Gips, aus Imitationen, ist überlebensgroß und zutiefst unpersönlich. Die ganze Stadt riecht nach gebratenen Garnelen-Dinners für 1 Dollar 89.
    Ich fand ein Motel nahe dem Flugplatz, am Rand der Stadt. Das Bagdad sah aus wie ein Fremdenlegionsposten aus Marzipan. Der Nachtmanager war in eine goldene Satinweste und ein orangenes Satinhemd mit riesigen Puffärmeln gehüllt. Er trug einen Fez mit Quaste. Seine Atmung hatte etwas Kratziges, das in mir den Wunsch erzeugte, mich zu räuspern.
    »Sind Sie ein Ehepaar aus ‘nem andern Staat?« fragte er ohne aufzuschauen.
    »Nein.«
    »Es gibt für fünfzig Dollar Gutscheine bei Zweibettzimmern, wenn Sie ein Ehepaar aus ‘nem andern Staat sind. Ich schreib’s mal hin. Prüft kein Mensch.«
    Ich gab ihm meine Kreditkarte, die er dazwischennahm, während ich den Meldezettel ausfüllte. Er gab mir meinen Schlüssel und einen kleinen Pappbecher voller Münzen für die Spielautomaten am Eingang. Ich ließ sie auf der Theke.
    Ich parkte auf dem Platz vor meiner Tür, ließ den Wagen stehen und nahm ein Taxi ins Zentrum, durch das künstliche Tageslicht der Glitzerschlucht. Ich bezahlte das Taxi und brauchte einen Augenblick, um mich zu orientieren. Unablässiger Verkehr strömte auf der East Fremont, die Gehwege waren übervölkert von Touristen; knallgelbe Schilder und Blinkfeuer — the mint, the four queens — beleuchteten ein lückenloses Kabinett von kleinen Gaunern: Zuhälter und Prostituierte, Taschendiebe, naive Bauernfänger aus dem Mittelwesten, die in der Überzeugung nach Vegas pilgern, daß sie mit Geduld und Spucke dem System ein Schnippchen schlagen werden. Ich ging in das Fremont .
    Aus dem Restaurant konnte ich das chinesische Essen riechen, und der Geruch von Huhn Chow Mein vermischte sich seltsam mit dem Duftstrahl einer an mir vorbeikommenden Frau, die in ihrem bedruckten, königsblauen Polyesteranzug aussah wie ein Stück wandelnder Tapete. Ich beobachtete beiläufig, wie sie anfing, Vierteldollarmünzen in einen Spielautomaten in der Lobby zu werfen. Die Blackjacktische waren weiter links von mir. Ich fragte einen der Aufseher nach Sharon Napier, und er sagte mir, sie käme um elf Uhr früh. Ich hatte eigentlich auch nicht erwartet, sie noch an diesem Abend zu treffen, aber ich wollte ein Gefühl für die Umgebung bekommen.
    Das Kasino brodelte, die Croupiers an den Würfeltischen schoben Chips mit einem Stab hin und her, als wäre es eine Art Billard mit besonderen Regeln. Ich habe einmal eine Besichtigung bei der Nevada Würfel Cie. mitgemacht und dabei fast mit Ehrfurcht beobachtet, wie die sechzig Pfund schweren, zweieinhalb Zentimeter starken Nitrozelluloseplatten getrocknet und in Würfel geschnitten wurden. Etwas größer als das Endformat, wurden sie anschließend gehärtet, poliert und auf allen Seiten ausgebohrt. Mit Spezialpinseln kam zuletzt eine weiße Harzmasse auf die vertieften Augen. Zwischendrin hatten die Würfel ausgesehen wie kleine Blöckchen Kirschgelee, die man als kalorienarmen Nachtisch hätte servieren können. Ich sah zu, wie die Leute ihre Wetten setzten. Die auf den Tisch gezeichneten Wettmöglichkeiten — Pass, Don’t, Pass, Come, Don’t Come, Field, Big 6 , Big 8 — waren ein Rätsel für sich, und ich drang beim besten Willen nicht durch die Serie der Gewinne, Verluste und Zahlen, die da in einem leisen Singsang gespannter Konzentration und Überraschung

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