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Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren

Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren

Titel: Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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heruntergerasselt wurden. Über dem Ganzen hing eine fahle Wolke von Zigarettenrauch, durchsetzt mit dem Geruch von verschüttetem Scotch. Die dunklen Spiegel über den Tischen mußten ständig von zahllosen Augenpaaren beobachtet worden sein, um zweifelhaften Manövern der Gäste zuvorzukommen. Nichts konnte unbemerkt bleiben. Die Atmosphäre glich einem überfüllten Woolworth an Heiligabend, wo kein Verlaß darauf war, daß die Scharen hektischer Kunden nicht hier und da etwas mitgehen ließen. Selbst die Angestellten konnten lügen, betrügen, stehlen, und man durfte nichts dem Zufall überlassen. Ich empfand flüchtigen Respekt vor dem ganzen System der Kontrollen und Gegenkontrollen, das soviel Geld in Umlauf hält und so wenig in die einzelnen Taschen zurückfließen läßt, denen es entlockt worden ist. Ein plötzliches Gefühl der Erschöpfung überkam mich. Ich ging wieder hinaus auf die Straße und rief ein Taxi.

    Der »mittelöstliche« Pomp des Bagdad endete abrupt an der Tür zu meinem Zimmer. Der Teppichboden war aus dunkelgrüner Zottelwolle, die kunststoffbeschichtete Tapete gelbgrün mit einem Muster aus sich überschneidenden Palmen und dichten kleinen Knäueln, die entweder Datteln oder Fliegende Hunde darstellten. Ich verriegelte die Tür, kickte meine Schuhe weg, nahm den Chenille-Bezug vom Bett und kroch erleichtert unter die Decken. Ich telefonierte kurz mit meinem Auftragsdienst, danach noch mit einer geschlauchten Arlette, und gab ihnen meinen neuesten Standort sowie die Nummer durch, unter der ich zu erreichen war.
    Ich erwachte um zehn Uhr früh mit leichten Kopfschmerzen — als bahnte sich ein Kater an, ohne daß ich auch nur ein Glas getrunken hatte. Vegas setzt mir oft in dieser Weise zu, eine Verbindung von Streß und Angst, auf die mein Körper mit allen Symptomen einer beginnenden Grippe reagiert. Ich nahm zwei Tylenol und duschte ausgiebig in dem Bemühen, die störenden Anklänge von Übelkeit fortzuschwemmen. Ich fühlte mich, als hätte ich ein Pfund kaltes Popcorn in Butter gegessen und es mit reichlich Süßstoff hinuntergespült.
    Ich trat aus meinem Motelzimmer; draußen im Licht mußte ich die Augen zusammenkneifen. Die Luft war immerhin frisch, und dazu kam bei Tag der Eindruck einer zahmeren, geschrumpften Stadt, die ihre wahren Dimensionen zurückerhalten hatte. Die Wüste erstreckte sich hinter dem Motel in einem hellgrauen, am Horizont in Lila übergehenden Dunst. Der Wind war mild und trocken, die Hitze des Sommers kündigte sich nur in den fern schimmernden Tümpeln aus Sonnenlicht im Wüstenboden an, die sich beim Näherkommen auflösten. Vereinzelte Beifußstände durchbrachen die langen, ebenen Flächen baumlosen Ödlands, begrenzt von fernen Hügeln.
    Ich fuhr am Postamt vorbei und hinterließ eine Anweisung über fünfzig Dollar für meinen Bekannten, und dann kundschaftete ich die Adresse aus, die er mir gegeben hatte. Sharon Napier wohnte in einem zweistöckigen Appartementhaus auf der anderen Seite der Stadt, lachsroter Stuck, der an den Kanten bröckelte, als wären Tiere in der Nacht herbeigekrochen, um die Ecken abzufressen. Das Dach war fast flach, mit Steinen übersät, die eiserne Brüstung schickte Rostspritzer an den Seiten des Gebäudes hinunter. Die Gartenarchitektur bestand aus Steinen, Palmlilien und Kakteen. Es gab nur zwanzig Wohneinheiten. Sie waren um ein nierenförmiges Schwimmbecken herum angeordnet, das eine graubraune Schlackensteinmauer von den Parkplätzen trennte. Ein paar kleine Kinder planschten in dem Becken herum, und eine Frau mittleren Alters stand auf dem Treppenabsatz vor ihrer Wohnung und klemmte einen Lebensmitteltüte zwischen ihrer Hüfte und der Tür fest, während sie aufschloß. Ein Chicano-Junge spritzte die Gehwege ab. Die Gebäude zu beiden Seiten des Wohnblocks waren Einfamilienhäuser. Hinter dem Block, auf der anderen Straßenseite, gab es ein unbebautes Grundstück.
    Sharons Appartement lag im Erdgeschoß, ihr Name stand säuberlich geprägt auf einem Plastikstreifen am Briefkasten. Ihre Vorhänge waren zugezogen, doch einige der Haken oben hatten sich gelöst, so daß der gefütterte Stoff nach innen gefallen war und eine Lücke bildete, durch die ich einen beigen Formicatisch und zwei beige, kunststoffbezogene Küchenstühle sehen konnte. Das Telefon stand auf einer Ecke des Tisches, zuoberst auf einem Stapel Papiere. Daneben eine Kaffeetasse mit einem wächsernen Halbmond aus knallrosa Lippenstift auf dem Rand.

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