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Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren

Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren

Titel: Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Frage eingeschoben, befürchtete aber, er würde sie als eine von meinen dreien rechnen, deshalb hielt ich den Mund. Er redete weiter.
    »Ich war siebzehn. Gott, was war ich für ein Armleuchter, und ich dachte, mein Vater wäre so unglaublich vollkommen. Ich wußte nicht, was er von mir erwartete, aber ich schätzte, dem würde ich nie gewachsen sein, also schaltete ich auf stur. Er war überkritisch und hat oft meine Gefühle verletzt, aber dann hab ich einfach gemauert. Die Hälfte der Zeit hing ich an seinen Lippen, und die restliche Zeit haßte ich ihn wie die Pest. Als er dann starb, war meine Chance, mit ihm ins reine zu kommen, vertan. Ich meine, endgültig, verstehst du? Das ist es. Ich habe keine Möglichkeit, irgendwelche unerledigten Geschichten mit ihm in Ordnung zu bringen, darum sitze ich fest. Nun dachte ich mir, wenn ich in der Zeit festsitze, kann ich ruhig auch vom Ort her festsitzen, und deshalb bin ich hergekommen. Einmal waren wir draußen am Strand — da mußte er wegen irgend etwas zum Wagen zurück, und ich erinnere mich, daß ich ihn beim Gehen beobachtet habe. Einfach ihm nachgesehen. Er hatte den Kopf geneigt, und wahrscheinlich dachte er an alles andere als an mich. Ich hätte ihn am liebsten zurückgerufen, ihm wirklich mal gesagt, wie gern ich ihn mochte, aber natürlich hab ich’s nicht getan. Diese ganze Geschichte hat mich wirklich geschafft.«
    »Wart nur ihr beiden da?«
    »Bitte? Nein, die ganze Familie. Bis auf Diane. Sie wurde krank und blieb bei Mama. Es war das Wochenende vor Labor Day. Wir fuhren erst nach Palm Springs, bloß für einen Tag, und sind dann weiter nach hier.«
    »Wie standest du zu Colin?«
    »Gut, denke ich, aber ich sah nicht ein, warum die ganze Familie um ihn rotieren mußte. Der Kleine hatte ein Handikap, und das fand ich schlimm, aber ich wollte nicht mein Leben auf seine Behinderung ausrichten, verstehst du? Ich meine, herrje, ich hätte mir doch eine tödliche Krankheit zulegen müssen, um gegen ihn anzukommen. Das war ich mit siebzehn, wohlgemerkt. Jetzt bin ich etwas mitfühlender, aber damals kam ich mit diesen Sachen nicht klar. Ich wußte gar nicht, wozu. Dad und ich waren zwar nie Busenfreunde, aber ich brauchte eben auch Zeit, um mit ihm zusammenzusein. Ich hatte immer solche Phantasien, wie das wäre. Ich würde ihm etwas wirklich Wichtiges erzählen, und er würde mir wirklich zuhören. Statt dessen haben wir bloß über Scheißdreck geredet — lauter Scheißdreck. Und sechs Wochen später war er tot.«
    Er warf mir einen Blick zu und schüttelte einfältig lächelnd den Kopf.
    »Shakespeare hätte ein Stück schreiben sollen über dieses Zeug«, sagte er. »Ich hätte den Monolog bringen können.«
    »Er hat also mit dir nie über sein persönliches Leben gesprochen?«
    »Das ist übrigens Nummer drei«, bemerkte er. »Du hast diese kleine Frage dazwischengeschmuggelt, ob nur Dad und ich hier waren. Aber die Antwort ist nein. Er hat mit mir nie über irgendwas gesprochen. Ich sagte dir ja, ich könnte nicht viel helfen. Legen wir ‘ne Pause ein, okay?«
    Ich lächelte, warf meine Schuhe auf den Strand und fing an zu laufen.
    »Joggst du?« rief ich über meine Schulter zurück.
    »Ziemlich viel«, sagte er, indem er mich einholte. Er begann neben mir herzutraben.
    »Was ist, wenn ich ins Schwitzen komme?« fragte ich. »Können wir uns waschen?«
    »Die Nachbarn lassen mich ihre Dusche benutzen.«
    »Prima«, sagte ich und legte einen Zahn zu.

    Wir liefen, ohne ein Wort zu wechseln, nahmen nur Sonne und Sand und trockene Wärme in uns auf. Die ganze Zeit stellte sich mir immer wieder die gleiche Frage: Wie paßte Sharon Napier in diesen Zusammenhang? Was konnte sie nur gewußt haben, das sie nicht mehr hatte erzählen können? Bis jetzt ergab das alles keinen Sinn. Weder Fifes Tod noch der von Libby noch der von Sharon acht Jahre später. Es sei denn, sie hatte jemanden erpreßt. Ich blickte zurück nach dem kleinen Wohnwagen, der immer noch sichtbar war und in der verzerrten Perspektive der flachen Wüstenlandschaft auffallend nah erschien. Niemand sonst war in der Nähe. Weit und breit keine Fahrzeuge, kein Butzemann zu Fuß. Ich lächelte Greg an. Er war noch nicht einmal am Keuchen.
    »Du bist gut in Form«, sagte ich.
    »Du auch. Wie lange ziehen wir das durch?«
    »Dreißig Minuten. Dreiviertelstunde.«
    Wir klotzten eine Zeitlang weiter, wobei der Sandboden mir leicht in die Waden stach.
    »Wie wär’s, wenn ich dir drei Fragen

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