Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren
noch in eine Decke rollen und wieder schlafen. Mit klopfenden Kopfschmerzen ging ich zur Rezeption. Diesmal war die Frau des Managers dort, herausgeputzt wie ein türkisches Haremsmädchen — falls das Wort »Mädchen« paßte. Sie war vermutlich fünfundsechzig, mit einem fein gerunzelten Gesicht wie etwas, das zu lange im Trockner geblieben war. Sie trug eine helle Satinkappe auf den grauen Haaren, die Schleier aufreizend über die Ohren drapiert.
»Ich bin morgen früh um fünf schon weg, deshalb möchte ich meine Rechnung heute abend erledigen«, sagte ich.
Ich nannte ihr meine Zimmernummer, und sie ging die Kartei durch, bis sie zu meiner Rechnungskarte kam. Ich fühlte mich rastlos, unruhig und krank, und ich wollte weiter. Statt dessen mußte ich mich zwingen, leicht und locker mit dieser Frau umzugehen, die ein Zeitlupentempo an den Tag legte.
»Wohin wollen Sie?« fragte sie beiläufig, während sie die Posten in die Rechenmaschine tippte. Sie machte einen Fehler und mußte noch mal von vorn anfangen.
»Reno«, sagte ich, mechanisch lügend.
»Glückssträhne?«
»Bitte?«
»Haben Sie viel gewonnen?«
»O ja, ich steh ganz gut da«, sagte ich. »Hätte ich mir gar nicht zugetraut.«
»Besser als die meisten«, bemerkte sie. »Sie führen doch keine Ferngespräche mehr, bevor sie abreisen?« Sie warf mir einen scharfen Blick zu.
Ich schüttelte den Kopf. »Ich werd mich hinhauen.«
»Sie sehen aus, als ob Sie etwas Schlaf gebrauchen könnten«, meinte sie. Sie füllte die Rechnung aus, ich unterschrieb und nahm meinen Durchschlag entgegen.
»Die Gutscheine für fünfzig Dollar hab ich nicht benutzt«, sagte ich. »Die können Sie ruhig wiederhaben.«
Sie packte die unbenutzten Coupons ohne ein Wort in die Schublade.
Innerhalb von Minuten war ich wunderbarerweise auf dem Highway 93, in südöstlicher Richtung unterwegs nach Boulder City, wo ich den 95 nach Süden nahm. Ich kam bis Needles, und dann war die Entspannung fällig. Ich fand ein billiges Motel und meldete mich an, kroch wieder unter die Bettdecken und schlief zehn Stunden durch. Selbst in diesem tiefen Zustand des Vergessens empfand ich eine schreckliche Furcht vor dem, was da in Gang gebracht worden war, und ein sinnloses, schmerzliches Bedürfnis, mich bei Sharon Napier zu entschuldigen, welches auch immer die Rolle war, die ich bei ihrem Tod gespielt hatte.
14
Am Morgen fühlte ich mich wiederhergestellt. Ich aß ein großes Frühstück in einer kleinen Imbißstube gegenüber dem Motel; spülte Rührei, Speck und Roggentoast mit frischem Orangensaft und drei Tassen Kaffee hinunter. Ich ließ den Wagen volltanken, den Ölstand prüfen und fuhr wieder los. Nach Las Vegas war die Wüstenreise ein Vergnügen. Das Land war karg, die Farben gedämpft: ein sanftes, sehr blasses Lila, mit feinem Staub überzogen. Der Himmel war ein reines, wolkenloses Blau, die Bergrücken wie zerknitterter Samt, mit dunkelgrauen Falten an der Vorderseite. Es war etwas Reizvolles an diesem noch immer uneroberten Land, diesem meilenweiten Terrain ohne Neonschilder. Die Bevölkerung beschränkte sich auf Beutelratten und Erdhörnchen, in den Felsenschluchten hausten der Präriefuchs und der Rotluchs. Bei fünfundfünfzig Meilen die Stunde waren keine Tiere zu sehen, aber sogar im Schlaf hatte ich die Schreie von Baumfröschen gehört, und jetzt, in meinem dahineilenden Auto, stellte ich mir vor, daß die Lehm- und Kiesablagerungen voll waren mit braungelben Eidechsen und Tausendfüßlern, Geschöpfen, deren Anpassung an die Umwelt den sparsamen Umgang mit Feuchtigkeit und eine Aversion gegen pralle Sonne einschließt. Es gibt Blattschneiderameisen in der Wüste, die getreu ihrem Namen Blätter zersäbeln und sie als Sonnenschutz auf dem Rücken tragen; später lagern sie sie wie Sonnenschirme in den unterirdischen Kammern, in denen sie wohnen. Die Vorstellung ließ mich lächeln, und ich hielt meine Gedanken entschlossen von der Erinnerung an Sharon Napiers Tod fern.
Ich fand Greg Fife in einem grauen, buckligen kleinen Campingwagen außerhalb von Durmid am Ostufer des Saltonsees. Es hatte einige Zeit gedauert, ihn aufzuspüren. Gwen hatte gesagt, daß er auf seinem Boot lebe, aber das Boot war zum Anstreichen und Reparieren aus dem Wasser gezogen worden, und Greg logierte vorübergehend in einem Aluminiumwohnwagen, der aussah wie ein Spielzeugkäfer. Das Innere war kompakt, mit einem flach an die Wand gehakten Klapptisch, einer Polsterbank, die ein
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