Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren
stelle?« sagte er.
»Okay.«
»Wie bist du mit deinem alten Herrn ausgekommen?«
»Ach, blendend«, sagte ich. »Er starb, als ich fünf war. Beide starben. Bei einem Autounfall. In der Nähe von Lompoc. Ein großer Felsbrocken rollte den Berg runter und krachte in die Windschutzscheibe. Sie brauchten sechs Stunden, um mich hinten rauszuholen. Meine Mutter weinte eine Zeitlang, und dann hörte sie auf. Ich höre sie immer noch manchmal im Schlaf. Nicht das Schluchzen. Die Stille hinterher. Ich wuchs bei meiner Tante auf. Ihrer Schwester.«
Er verdaute das. »Bist du verheiratet?«
»Gewesen.« Ich hielt zwei Finger hoch.
Er lächelte. »Heißt das >zweimal< oder Frage Nummer zwei?«
Ich lachte. »Das war Nummer drei.«
»Hey, komm. Du mogelst.«
»Also gut. Noch eine. Aber daß sie zählt.«
»Hast du schon mal jemanden getötet?«
Ich warf ihm einen neugierigen Blick zu. Als Anschlußfrage schien das seltsam. »Drücken wir’s mal so aus«, sagte ich. »Ich habe meinen ersten Mordfall untersucht, als ich sechsundzwanzig war. Ein Job, den ich für die Verteidigung übernahm. Eine Frau war angeklagt, ihre eigenen Kinder getötet zu haben. Drei Kinder. Mädchen. Alle unter fünf. Hatte ihnen den Mund zugeklebt, die Hände und Füße zusammengeklebt, sie dann in Mülleimer gesteckt und ersticken lassen. Ich mußte mir die großen, glänzenden Polizeifotos ansehen. Das hat mich von jeglicher Mordlust geheilt. Von dem Wunsch, Mutter zu werden, auch.«
»Himmel«, sagte er. »Und sie hat das wirklich getan?«
»Allerdings. Sie kam natürlich davon. Plädierte auf vorübergehende Unzurechnungsfähigkeit. Soviel ich weiß, könnte sie schon wieder frei herumlaufen.«
»Wie bewahrst du dich davor, zynisch zu werden?« fragte er.
»Wer sagt denn, daß ich’s nicht bin?«
Während ich im Nachbarswohnwagen duschte, dachte ich darüber nach, was ich von Greg noch erfahren könnte. Ich fühlte mich unruhig, wollte dringend weiter. Wenn ich vor Einbruch der Dunkelheit bis Claremont kam, konnte ich am Morgen als allererstes mit Diane sprechen und nach dem Lunch dann zurück nach Los Angeles. Ich trocknete meine Haare und zog mich an. Greg hatte mir noch ein Bier aufgemacht, von dem ich einen Schluck trank, während ich darauf wartete, daß er vom Waschen wiederkäme. Ich sah auf meine Uhr. Es war Viertel nach drei. Greg kam in den Wohnwagen, ließ die Tür offen, schob das Fliegengitter vor. Seine dunklen Haare waren noch feucht, und er roch nach Seife.
»Du siehst fluchtbereit aus«, sagte er und holte sich ein Bier.
»Ich denke, ich sollte versuchen, nach Claremont zu kommen, bevor es dunkel wird«, sagte ich. »Soll ich deiner Schwester was ausrichten?«
»Sie weiß, wo ich bin. Wir unterhalten uns ab und zu, oft genug, um auf dem laufenden zu bleiben«, sagte er. Er setzte sich in den Segeltuchstuhl und legte seine Füße neben mir auf die Polsterbank. »Willst du noch irgend etwas fragen?«
»So ein paar Sachen, wenn’s dir recht ist«, sagte ich.
»Schieß los.«
»Was weißt du noch von den Allergien deines Vater?«
»Hunde, Katzenhaare, manchmal Heuschnupfen, aber ich weiß nicht, woraus der sich eigentlich zusammensetzte.«
»Er war nicht allergisch gegen bestimmte Nahrungsmittel? Eier? Weizen?«
Greg schüttelte den Kopf. »Nicht, daß ich wüßte. Nur Sachen in der Luft — Blütenstaub und dergleichen.«
»Hatte er seine Allergiekapseln bei sich, als die Familie an dem Wochenende hierherkam?«
»Daran entsinne ich mich nicht. Aber ich denke, nein. Er wußte, daß wir in der Wüste sein würden, und die Luft hier unten ist normalerweise ziemlich sauber, auch im Spätsommer, im Frühherbst. Der Hund war nicht mit. Wir hatten ihn daheimgelassen; wegen ihm würde Dad also das Allergiepräparat nicht gebraucht haben, und ich glaube auch nicht, daß er es für etwas anderes brauchte.«
»Ich dachte, der Hund sei überfahren worden. Ich meine, Nikki hätte mir das erzählt.«
»Ja, ist er auch. Als wir fort waren, um genau zu sein.«
Ich spürte ein plötzliches Frösteln. Da war doch etwas komisch dran, irgendwie faul. »Wie habt ihr es erfahren?«
Greg zuckte die Achseln. »Als wir nach Hause kamen«, sagte er, offenbar ohne der Sache viel Bedeutung beizumessen. »Mama war mit Diane rüber zum Haus gefahren, um etwas abzuholen. Sonntag morgens, glaube ich. Wir kamen erst Montag abend zurück. Jedenfalls fanden sie Bruno am Straßenrand. Er war wohl ziemlich übel zugerichtet. Mama wollte
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