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Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren

Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren

Titel: Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Dennoch, dann wären sie jetzt unversehrt gewesen. Es war meine eigene verdammte Schuld, dachte ich bitter.
    Ich sagte Grace, ich käme am Morgen so früh wie möglich wieder, und dann fuhr ich los. Es würde eine lange Nacht werden.

    Ich kaufte mir zwei Kannen schwarzen Kaffee auf der anderen Straßenseite, sperrte die Tür meines Motelzimmers ab und schloß die Vorhänge. Ich schüttete den ersten Karton auf dem Bett aus und begann zu stapeln. Schulunterlagen auf einen Stoß für sich. Privatbriefe. Illustrierten. Stofftiere. Kleidung. Kosmetika. Rechnungen und Quittungen. Grace hatte anscheinend jeden Gegenstand aufgehoben, den Elizabeth seit dem Kindergarten angerührt hatte. Zeugnisse. Planaufgaben. Sechs Kartons schienen wirklich noch wenig, als mir aufging, was da alles war. Prüfungshefte vom College. Durchschläge von Bewerbungsschreiben. Steuerrückzahlungen. Die Anhäufung eines ganzen Lebens, und eigentlich war es nichts als Schund. Die Motivation und Energie, die darin gesteckt hatten, waren erloschen. Und doch fühlte ich mit ihr. Ich bekam eine Vorstellung von diesem jungen Mädchen, dessen Gehversuche, Triumphe und kleine Fehlschläge jetzt in einem tristen Motelzimmer aufgestapelt waren. Ich wußte nicht einmal, wonach ich suchte. Ich blätterte ein Tagebuch aus der fünften Klasse durch — die Handschrift rund und pflichtbewußt, die Eintragungen fade. Ich stellte mir vor, ich wäre selbst tot und jemand würde unbekümmert meine Habseligkeiten durchwühlen. Woraus bestand mein Leben überhaupt? Eingelöste Schecks. Getippte und abgeheftete Berichte. Alles, was von Wert war, auf knappe Prosa reduziert. Ich besaß nicht viel, hortete nichts und hob nichts auf. Zwei Scheidungsurkunden. Das war so ungefähr das Fazit bei mir. Ich sammelte mehr Informationen über das Leben anderer Leute als über mein eigenes, so als könnte ich, indem ich über die Daten anderer Leute brütete, vielleicht etwas über mich selbst herausfinden. Mein eigenes Geheimnis, unerforscht, unergründet, war in Akten aufgeteilt, die zwar säuberlich beschriftet waren, im Grunde aber nicht viel aussagten. Ich durchsuchte die letzte von Elizabeths Kisten, aber sie enthielt nichts Interessantes. Es war vier Uhr früh, als ich fertig wurde. Nichts. Wenn irgend etwas darunter gewesen war, fehlte es jetzt, und wieder war ich über mich selbst verärgert, schalt ich mich wegen meines schwachen Urteilsvermögens. Dies war das zweite Mal, daß ich zu spät kam, das zweite Mal, daß mir irgendeine wichtige Information entgangen war.
    Ich begann die Kisten wieder vollzupacken, wobei ich automatisch alles nochmals kontrollierte und sichtete. Kleider in einen Karton, Stofftiere in die Zwischenräume an den Seiten. Schulunterlagen, Tagebücher, Prüfungshefte in den nächsten Karton. Alles wanderte zurück, sauber katalogisiert diesmal, genauestem sortiert, als wäre ich Elizabeth Glass irgendeine Ordnung schuldig, nachdem ich in die verborgenen Winkel ihres früh beendeten Lebens gespäht hatte. Ich blätterte Illustrierten durch, hielt Lehrbücher am Rücken hoch und ließ die Seiten flattern. Die Stapel auf dem Bett nahmen ab. Es gab nicht allzu viele persönliche Briefe, und ich kam mir schlecht vor, weil ich sie las, aber ich tat es. Einige von einer Tante aus Arizona. Einige von einem Mädchen namens Judy, die Libby an der High-School gekannt haben mußte. Niemand schien sich auf etwas Intimes in ihrem Leben zu beziehen, und ich gelangte zu dem Schluß, daß sie anderen nur wenig anvertraute oder aber nichts weiter zu erzählen hatte. Die Enttäuschung war bitter. Ich hatte bereits den letzten Stoß Bücher erreicht, hauptsächlich Taschenbücher. So ein Geschmack. Leon Uris und Irving Stone, Victoria Holt, Georgette Heyer, ein paar ausgefallenere Sachen, die meiner Vermutung nach auf irgendeinen literarischen Grundkurs am College zurückgingen. Der Brief rutschte aus den Seiten eines eselsohrigen Exemplars von Stolz und Vorurteil. Fast hätte ich ihn mit dem übrigen Zeug in den Karton geworfen. Die Handschrift ging straff und zügig über zwei Seiten, in dunkelblauer Tinte. Kein Datum. Kein Umschlag. Kein Poststempel. Ich nahm den Brief an einer Ecke auf, las ihn und spürte, wie mir ein kaltes Kribbeln über den Rücken lief.

    Liebste Elizabeth ... ich schreibe Dir dies, damit Du etwas vorfindest, wenn Du wiederkommst. Ich weiß, diese Trennungen sind hart für Dich, und ich wünschte, es gäbe eine Möglichkeit für mich, Deinen

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