Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren
Sherman Oaks gefolgt sein, um Libbys Habseligkeiten kopflos nach irgend etwas zu durchsuchen, das Libby mit Laurence Fife in Verbindung hätte bringen können. Einzelheiten fehlten noch, aber sie würden sich einstellen, und dann würde das Ganze vielleicht einen Sinn ergeben. Vorausgesetzt, ich lebte lange genug, um dahinterzukommen...
18
Ich schleppte mich um sechs Uhr aus dem Bett. Ich hatte überhaupt nicht geschlafen. Mein Mund fühlte sich schal an, und ich putzte mir die Zähne. Ich duschte und zog mich an. Wie gerne wäre ich gelaufen, aber ich fühlte mich zu verwundbar, um zu dieser Zeit mitten über den San Vicente zu joggen. Ich packte, räumte meine Schreibmaschine ein, stopfte die Seiten meines Berichts in die Aktentasche. Ich lud die Kartons zusammen mit meinem Koffer wieder ins Auto. Das Licht im Büro brannte, und ich konnte Arlette sehen, die gefüllte Krapfen aus einer Konditoreischachtel nahm und sie auf eine Kunststoffplatte mit durchsichtiger Haube legte. Auf dem Herd stand bereits Wasser für den schrecklichen, faden Instantkaffee. Sie leckte Puderzucker von ihren Fingern, als ich hereinkam.
»Gott, sind Sie früh auf«, sagte sie. »Möchten Sie Frühstück?«
Ich schüttelte den Kopf. Selbst bei meiner Vorliebe für Junkfood würde ich keinen gefüllten Krapfen essen. »Nein, danke«, sagte ich. »Ich wollte mich abmelden.«
»Jetzt gleich?«
Ich nickte, fast zu müde zum Reden. Sie schien wohl auch zu spüren, daß es die falsche Zeit für ein Schwätzchen war. Sie machte meine Rechnung fertig, und ich unterschrieb, ohne die Summen auch nur zu überschlagen. Normalerweise verzählte sie sich, aber das kümmerte mich nicht.
Ich stieg in mein Auto und fuhr nach Sherman Oaks. In Graces Küche brannte Licht, als ich um die Seite des Gebäudes herumkam. Ich klopfte an das Fenster, und wenig später war sie am Lieferanteneingang und öffnete die Seitentür. Sie wirkte in einem ausgestellten Cordrock und mokkafarbenem Rollkragenpullover klein und zierlich an diesem Morgen. Sie sprach leise.
»Raymond ist noch nicht wach, aber es ist Kaffee da, wenn Sie möchten«, sagte sie.
»Danke, aber ich bin um acht zum Frühstück verabredet«, log ich, ohne viel nachzudenken. Was immer ich sagte, würde an Lyle weitergegeben werden, und meine Pläne gingen ihn nichts an — und sie auch nicht. »Ich wollte nur die Kartons vorbeibringen.«
»Haben Sie etwas gefunden?« fragte sie. Ihr Blick begegnete kurz dem meinen, dann blinzelte sie, schaute auf den Boden, sah links an mir vorbei.
»Zu spät«, sagte ich und versuchte die Erleichterung nicht zu beachten, die sich auf ihren Zügen widerspiegelte.
»Das ist bedauerlich«, murmelte sie und faßte sich an den Hals. »Ich bin... ehm... sicher, daß es nicht Lyle war.«
»Es spielt sowieso keine große Rolle«, sagte ich. Sie tat mir unwillkürlich leid. »Ich habe alles so ordentlich wieder eingepackt, wie ich konnte. Ich bringe die Kartons eben noch in den Keller und setze sie in den Verschlag. Den werden Sie wahrscheinlich ja reparieren lassen, wenn die Außentür wieder ganz ist.«
Sie nickte. Sie machte Anstalten, die Tür zu schließen, und ich trat zurück und beobachtete, wie sie in ihren weichbesohlten Slippern wieder in die Küche tappte. Es kam mir vor, als hätte ich persönlich irgendwie den Frieden ihres Lebens gestört, so daß jetzt alles mit einem Mißklang endete. Sie war so hilfsbereit gewesen, wie sie konnte, und sie hatte wenig dafür erhalten. Ich mußte darüber hinweggehen. Im Augenblick konnte ich nichts tun. Ich lud in mehreren Etappen den Wagen aus und stapelte die Kartons gleich vorne in dem beschädigten Verschlag. Unbewußt horchte ich auf Lyle. Das Licht im Keller war bei Tag kalt und grau, doch abgesehen von dem zersplitterten Lattengitter und der zerbrochenen Glasscheibe wies nichts mehr auf den Eindringling hin. Nach meiner letzten Tour in den Keller ging ich zum Hinterausgang und hielt beiläufig Ausschau nach zerdrückten Zigarettenkippen, blutigen Fingerabdrücken, vielleicht einer kleinen gedruckten Visitenkarte, die der Einbrecher verloren hatte. Ich ging draußen die Betonstufen hoch, blickte nach rechts auf den Weg, den der Einbrecher genommen hatte — über das stoppelige Gras im Hinterhof, über einen durchhängenden Drahtzaun, durch ein Gewirr von Büschen. Ich konnte bis zur nächsten Straße sehen, wo sein Wagen gestanden haben mußte. Es war noch früh am Morgen, und das Sonnenlicht war matt und
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