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Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren

Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren

Titel: Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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unbewegt. Ich konnte starken Verkehr auf dem Ventura Freeway hören, der weiter rechts zwischen den Baumgruppen schimmerte. Der Erdboden war zu hart für Fußspuren. Ich ging links um das Gebäude herum zu der Auffahrt und bemerkte mit Interesse, daß der Rasenmäher jetzt auf die Seite gerückt worden war. Meine Handflächen waren stellenweise immer noch aufgerissen, fünf Zentimeter breite Schrammen, wo ich auf den Händen über den Kies gerutscht war. Ich hatte noch nicht einmal daran gedacht, Bactin aufzutragen, und ich hoffte, ich würde mir keinen Wundbrand, eine gefährliche Entzündung oder Blutvergiftung zuziehen — Gefahren, vor denen meine Tante mich fast jedesmal gewarnt hatte, wenn ich mir das Knie aufschürfte.
    Ich setzte mich wieder ins Auto und fuhr los nach Santa Teresa, hielt aber in Thousand Oaks zum Frühstück. Um zehn war ich dann zu Hause. Ich wickelte mich auf der Couch in eine Decke und schlief den größten Teil des Tages.

    Um vier Uhr fuhr ich hinaus zu Nikkis Strandhaus. Ich hatte angerufen, um ihr mitzuteilen, daß ich wieder in der Stadt sei, und sie hatte mich zu einem Drink eingeladen. Ich war mir noch nicht sicher, wieviel ich ihr erzählen oder wieviel ich eventuell zurückhalten würde, aber nachdem mich zuletzt solches Mißtrauen gegen sie gequält hatte, wollte ich meine Wahrnehmungen auf die Probe stellen. Es gibt bei jeder Ermittlung Momente, da verbauen und vernebeln meine Spekulationen über das, was möglich ist, mir jeden Rest Gefühl dafür, was tatsächlich der Fall ist. Ich wollte meine Eingebungen prüfen.
    Das Haus lag an einem Steilufer mit Blick auf das Meer. Das Grundstück war klein, unregelmäßig in der Form, umgeben von Eukalyptusbäumen. Das Haus war in die Gartenlandschaft eingebettet — Lorbeer und Eiben, mit rosa und roten Geranien entlang dem Pfad—, sein Äußeres bestand aus Zedernholzschindeln in naturbelassenem Braunton, das Dach verlief in einer sanften Wellenlinie. Auf der Vorderseite war ein breites, ovales Fenster, flankiert von zwei Bogenfenstern, alle ohne Vorhänge. Der Rasen war hellgrün, zarte Grashalme, die beinah eßbar wirkten, vermischt mit Kringeln von Eukalyptusrinde wie mit Sägespänen. Weiße Gänseblümchen bildeten verstreute Inseln. Der Gesamteindruck war der einer subtilen Nachlässigkeit, einer veredelten Wildnis, ungepflegt, aber gezähmt, eigenartig reizvoll durch den schweren Duft des Ozeans, der darüber lag, und das dumpfe Grollen der in der Tiefe anbrandenden Wellen. Die Luft war feucht und roch nach Salz, der Wind schüttelte das zerzauste Gras. War das Haus in Montebello ein biederer, konventioneller, schlichter Kasten, so war dies hier ein schrulliges Cottage, lauter weite Winkel, Fenster und Naturholz. Die Eingangstür hatte ein hohes, ovales Bleiglasfenster mit Tulpenmotiven, und die Klingel hörte sich an wie ein Glockenspiel.
    Nikki erschien sofort. Sie trug einen schilfgrünen Kaftan mit aufgestickten Spiegeln am Oberteil, groß wie Zehncentmünzen, und weiten Ärmeln. Ihre Haare waren aus dem Gesicht nach hinten gekämmt und wurden von einem hellgrünen Samtband zusammengehalten. Sie wirkte entspannt, ihre breite Stirn faltenlos, die grauen Augen blickten hell und klar, die Lippen waren leicht rosa angemalt, die Mundwinkel nach oben gebogen wie in heimlicher Freude. Die Trägheit war aus ihren Gebärden verschwunden, und sie war munter, lebhaft. Ich hatte das Fotoalbum von Diane mitgebracht und gab es ihr, als sie die Tür hinter mir schloß.
    »Was ist das?« fragte sie.
    »Diane hat es für Colin zusammengestellt«, sagte ich.
    »Kommen Sie mit zu ihm«, sagte sie. »Wir backen gerade Brot.«
    Ich folgte ihr durch das Haus. Es gab überhaupt keine viereckigen Zimmer. Die Räume flössen ineinander über, verbunden durch hell schimmernde Holzfußböden und farbenfrohe Wollteppiche. Überall waren Fenster, Pflanzen, Oberlichter. Ein unorthodoxer Kamin im Wohnzimmer sah aus, als wäre er aus graubraunen Kopfsteinen zusammengebaut, die man willkürlich aufgeschichtet hatte wie einen Höhleneingang. An der hinteren Wand führte eine robuste Leiter zu einem Dachboden, der das Meer überblickte. Nikki lächelte mir glücklich zu und legte im Vorbeigehen das Album auf den gläsernen Couchtisch.
    Die Küche war halbkreisförmig, aus Holz und weißem Formica mit strotzend gesunden Zimmerpflanzen. Nach drei Seiten gingen Fenster auf eine Terrasse, hinter der sich, weit und grau am späten Nachmittag, das Meer

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