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Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren

Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren

Titel: Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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der Aufbauschule.«
    »Das stimmt wahrscheinlich«, sagte Nikki.
    »Nikki, zu der Zeit muß Colin vierzehn Monate gewesen sein. Ich hab die Bilder ja selbst gesehen. Er war noch ein Baby, das im Arm gehalten wurde.«
    »Und?«
    »Und wieso hat er sich dann überhaupt an sie erinnert?«
    Nikki trug einen Streifen Beize auf, während sie darüber nachdachte. »Vielleicht hat sie ihn in einem Supermarkt gesehen oder ihn zufällig mal mit Diane getroffen. Sie könnte ihn oder er könnte sie ja doch gesehen haben, ohne daß dem eine besondere Bedeutung beizumessen wäre.«
    »Mag sein. Aber ich glaube, daß Gwen mich belogen hat, als ich danach fragte. Wenn nichts dabei war, hätte sie es doch sagen können. Warum vertuscht sie es?«
    Nikki gab mir einen langen Blick. »Vielleicht hat sie’s einfach vergessen.«
    »Was dagegen, wenn ich ihn frage?«
    »Nein, nur zu.«
    »Wo ist das Album?«
    Sie deutete über ihre Schulter, und ich ging zurück ins Wohnzimmer. Das Fotoalbum lag auf dem Couchtisch, und ich blätterte es durch, bis ich den Schnappschuß von Gwen fand. Ich zog ihn aus den vier kleinen Fotoecken, in denen er steckte, und ging wieder auf die Veranda. Ich hielt ihn Colin hin.
    »Fragen Sie ihn, ob er sich erinnern kann, was geschah, als er sie zuletzt gesehen hat«, sagte ich.
    Nikki langte herüber und gab ihm einen leichten Klaps. Er schaute erst auf sie, dann auf das Foto, und forschend begegneten seine Augen den meinen. Nikki stellte ihm die Frage in der Zeichensprache. Sein Gesicht verschloß sich wie eine Iris, wenn die Sonne untergeht.
    »Colin?«
    Er begann mit abgewandtem Gesicht wieder zu streichen.
    »So ein kleiner Scheißkerl«, sagte ich gutmütig. Sie stupste ihn an und fragte ihn nochmals.
    Colin ignorierte es. Ich beobachtete seine Reaktion genau.
    »Fragen Sie ihn, ob sie hier war.«
    »Wer, Gwen? Warum sollte sie hier gewesen sein?«
    »Ich weiß es nicht. Deshalb fragen wir ihn.«
    Der Blick, mit dem sie mich bedachte, war halb zweifelnd, halb ungläubig. Zögernd sah sie wieder Colin an. Sie gab ihm Zeichen und übersetzte sie für mich. Sehr gern schien sie es nicht zu tun.
    »War Gwen jemals hier oder in dem anderen Haus?«
    Colin beobachtete ihr Gesicht; sein eigenes war ein bemerkenswerter Spiegel von Unsicherheit und etwas anderem — Unbehagen, Verschlossenheit, Bestürzung.
    »Ich weiß nicht«, sagte er laut. Die Konsonanten verschwammen miteinander wie Tinte auf nassem Papier, aus seinem Tonfall sprach eine Art hartnäckiges Mißtrauen.
    Sein Blick glitt zu mir herüber. Ich dachte plötzlich an die Zeit im vierten Schuljahr, als ich zum erstenmal das Wort »ficken« hörte. Eine Klassenkameradin sagte mir, ich solle mal meine Tante fragen, was es bedeutete. Ich konnte die Falle spüren, obwohl ich keine Ahnung hatte, worin sie bestand.
    »Sagen Sie ihm, daß es okay ist«, bat ich Nikki. »Sagen Sie ihm, daß es für Sie keine Rolle spielt.«
    »Na, und ob es das tut«, schnappte sie.
    »Ach, kommen Sie, Nikki. Es ist wichtig, und was ändert es nach dieser ganzen Zeit?«
    Hierauf geriet sie in eine kurze Diskussion mit ihm, nur sie beide, es hagelte Gebärden — ein Wortstreit mit Fingern. »Er möchte nicht darüber sprechen«, sagte sie schließlich zurückhaltend. »Er hat sich geirrt.«
    Ich glaubte nicht daran, und ich spürte eine aufkeimende Erregung. Er beobachtete uns jetzt, versuchte unseren Dialog gefühlsmäßig zu entschlüsseln.
    »Ich weiß, es klingt abwegig«, sagte ich zögernd zu ihr, »aber ich frage mich, ob Laurence ihm das gesagt hat — daß sie seine Mutter wäre.«
    »Warum hätte er das tun sollen?«
    Ich schaute sie an. »Vielleicht hat Colin sie bei einer Umarmung überrascht oder etwas dergleichen.«
    Nikkis Gesichtsausdruck war einen Moment verständnislos, dann krauste sie die Stirn. Colin wartete unsicher und sah von ihr zu mir. Nikki gab ihm nochmals Zeichen. Er wirkte jetzt verlegen und hielt den Kopf gesenkt. Sie signalisierte ihm erneut, eindringlicher. Colin schüttelte den Kopf, doch die Geste kam offenbar aus Vorsicht, nicht aus Unwissenheit.
    Nikkis Gesichtsausdruck wandelte sich. »Mir ist gerade etwas eingefallen«, sagte sie. Sie blinzelte rasch, und Farbe stieg ihr ins Gesicht. »Laurence war tatsächlich hier. Er sagte mir, daß er mit Colin an dem Wochenende, als ich im Osten war, hergefahren sei. Greg und Diane blieben daheim bei Mrs. Voss. Die hatten irgendwas vor oder so, aber Laurence sagte, sie beide — er und Colin — seien

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