Kinsey Millhone 01 - Nichts zu verlieren
der Straße stand.
»Traust du dich nicht, mit mir zu fahren?«
»Ich hole mir einen Strafzettel, wenn ich hier draußen stehenbleibe. Ich fahre hinter dir her. Ich will nicht ohne meine Kiste dastehen.«
»Kiste? Du bezeichnest wie in den sechziger Jahren dein Auto als Kiste ?«
»Ja, das hab ich aus einem Buch«, sagte ich trocken.
Er rollte mit den Augen und lächelte nachsichtig, ohne weitere Diskussionen. Er stieg in seinen Wagen und wartete ostentativ, bis ich meinen erreicht hatte. Dann fuhr er los, und zwar langsam, damit ich ihm auch folgen konnte, ohne abhanden zu kommen. Von Zeit zu Zeit konnte ich sehen, wie er mich im Rückspiegel beobachtete.
»Du sexy Schweinehund«, sagte ich im Flüsterton und zitterte dann unwillkürlich. Er hatte diese Wirkung.
Wir nahmen Kurs auf John Powers’ Haus am Strand, und Charlie behielt ein gemächliches Tempo bei. Wie gewohnt agierte er mit halber Geschwindigkeit. Die Straße wurde kurvenreicher, und schließlich verlangsamte er und bog links ab, eine steile Auffahrt hinunter. Wenn meine Schätzungen stimmten, konnten wir nicht weit von Nikkis Strandhaus sein. Ich stoppte meinen Wagen mit der Schnauze nach unten neben seinem und hoffte, daß meine Handbremse standhalten würde. Powers’ Haus war rechter Hand an den Hügel gebaut, direkt vor uns waren eine Behelfsgarage und Parkfläche für zwei Wagen. Ein weißer Lattenzaun, dessen beide Flügel ein Tor bildeten, verschloß die Garage, und das Auto, das drinnen stand, war vermutlich das von Powers.
Charlie stieg aus und wartete, als ich vorn um meinen Wagen herumkam. Wie Nikkis Grundstück lag auch dieses an der Steilküste, wahrscheinlich zwanzig oder fünfundzwanzig Meter über dem Strand. Durch die Behelfsgarage konnte ich eine unregelmäßige Grasdecke sehen, den Halbmond eines Hofes. Wir gingen über einen schmalen Fußweg hinter das Haus, und Charlie schloß die Küche auf. John Powers’ Hunde waren so, wie ich sie hasse: die springende, bellende, geifernde Sorte mit Krallen wie Haifischzähne. Sie rochen aus dem Maul, Einer war schwarz, und der andere hatte die Farbe eines gestrandeten Wals, der seit einem Monat vor sich hin modert. Beide waren groß und mußten sich unbedingt auf die Hinterbeine stellen, um mir ins Gesicht zu starren. Ich hielt meinen Kopf zurück und die Lippen geschlossen, damit ich keine nassen Schlabberküsse einfinge.
»Charlie, könntest du mir mal helfen?« preßte ich zwischen den Zähnen hervor. Der eine leckte mir voll über den Mund, als ich sprach.
»Tootsie! Moe! Schluß damit!« rief er.
Ich wischte mir die Lippen. »Tootsie und Moe?«
Charlie lachte und zerrte die beiden an ihren Halsketten in den Abstellraum, wo er sie einschloß. Einer begann zu heulen, während der andere bellte.
»O Himmel. Laß sie raus«, sagte ich. Er öffnete die Tür, und beide kamen angesprungen, ihre Zungen hingen herunter wie Cornedbeef-Scheiben. Einer der Hunde kapriolte ins andere Zimmer und kehrte mit einer Leine im Maul wieder zurück. Das sollte nun niedlich sein. Charlie legte beide an die Leine, und sie tollten umher, wobei sie stellenweise den Fußboden naßmachten.
»Wenn ich sie spazierenführe, regen sie sich ab«, bemerkte Charlie. »Ähnlich wie du.«
Ich schnitt ihm ein Gesicht, aber anscheinend blieb mir nichts anderes übrig, als mit ihm vorn hinauszugehen. Da lagen mehrere Hundehaufen im Gras. Eine schmale Holztreppe wand sich zum Strand hinunter, stellenweise unterbrochen von nacktem Erdboden und Fels. Es war ein gefahrvoller Abstieg, besonders mit zwei fünfundneunzigpfündigen Schwachköpfen, die auf Schritt und Tritt Sätze und Pirouetten vollführten.
»John kommt in der Mittagspause immer heim und läßt sie laufen«, sagte Charlie über seine Schulter hinweg.
»Schön für ihn«, meinte ich und konzentrierte mich, während ich mir einen Weg über den Steilhang suchte, auf meine Füße. Zum Glück trug ich Tennisschuhe; sie griffen zwar nicht, hatten aber wenigstens keine Absätze, die in den morschen Stufen hängenbleiben konnten, um mich kopfüber in den Pazifik zu schleudern.
Der Strand unten war lang und schmal, begrenzt von schroffen Felsen. Die Hunde sprangen von einem Ende zum andern, der Schwarze hielt an, um mit krummem Rücken und schamhaft niedergeschlagenen Augen einen großen, dampfenden Haufen zu setzen. Himmel, dachte ich, ist das denn das einzige, was Hunde können? Ich wandte den Blick ab. Wirklich, es war alles so schlimm. Ich fand einen
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