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Kinsey Millhone 02- In aller Stille

Kinsey Millhone 02- In aller Stille

Titel: Kinsey Millhone 02- In aller Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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durch den Kopf, das in die Mülltonne geschaut hatte, bevor ich abdrückte. Aufgrund einer bemerkenswerten Verzerrung hätte ich schwören können, daß ich gesehen hatte, wie die erste Kugel das Fleisch wie Gummi gedehnt hatte, bevor sie durchschlug. Ich schüttelte diese Vorstellung ab und sprang auf die Füße. »Ich muß jetzt laufen«, meinte ich mit einem unguten Gefühl.
    Ich verließ die Küche, ohne mich noch einmal umzuschauen, doch ich wußte, was für ein Ausdruck auf Henrys Gesicht lag: Wachsamkeit und Kummer und Schmerz.
    Als ich draußen war, mußte ich die ganze Sache aus dem Gedächtnis streichen. Das Thema kam wieder in seine eigene kleine Schachtel. Ich machte schnell ein paar Dehnungsübungen und konzentrierte mich dabei auf meine Kniesehnen. Um ein großartiges Aufwärmprogramm zu rechtfertigen, renne ich weder schnell noch weit genug. Andere Jogger würden sicherlich über diesen Punkt streiten und Verletzungen zitieren, die aus einer ungenügenden Dehnung vor dem Lauf resultieren; aber ich finde das Training auch ohne die vorherigen Verrenkungen schon abscheulich genug. Eine Zeitlang habe ich es versucht. Pflichtbewußt lag ich auf dem Rücken im Gras und hatte ein Bein lang ausgestreckt und das andere seitlich Richtung Taille gezogen, als wäre meine Hüfte gebrochen. Hinterher konnte ich nie aufstehen, ohne mich wie ein Käfer abzustrampeln. Schließlich beschloß ich, daß es eine mögliche Muskelzerrung wert war, auf die Demütigungen zu verzichten. Ich habe mich beim Laufen noch nie verletzt. Ich war auch noch nie davon begeistert. Immer noch warte ich auf die vielzitierte »Euphorie«, die offensichtlich jeden außer mich erfaßt. In flotter Gangart steuerte ich den Boulevard an und hielt mir den Kopf frei.
    Normalerweise schaffe ich drei Meilen, indem ich den Radweg am Strand entlang nehme. Der Gehweg ist gelegentlich mit seltsamen Zeichnungen markiert, nach denen ich Ausschau halte und so die Viertelmeilen abzähle. Abdrücke irgendeines sagenhaften Vogels, die Spur eines einzelnen, dicken Reifens, die den Beton überquert und im Sand verschwindet. In der Regel gibt es Tramps am Strand; einige, die hier ständig ihr Lager aufgeschlagen haben, andere, die nur auf der Durchreise sind. Ihre Schlafsäcke sind unter den Palmen ausgebreitet wie große grüne Larven oder wie die abgelegten Häute einiger Nachttiere.
    An diesem Nachmittag schien die Luft schwer und kühl zu sein, und das Meer war träge. Die Wolkendecke riß langsam auf, aber das sichtbare Stück Himmel war von einem blassen, ausgewaschenen Blau, und es gab keine richtigen Anzeichen von Sonne. Draußen auf dem Wasser hielt ein Motorboot seinen Kurs parallel zum Strand, und der Weg seines Kielwassers schlängelte sich wie ein wirbelndes Silberband hinterher. Die Berge waren auf ihrer landzugewandten Seite dunkelgrün. Aus dieser Entfernung wirkte die niedrig gewachsene Vegetation wie weiches Wildleder, aus dem an den Kammlinien Felsoberflächen hervorschauten, als wäre der Flor hier durch häufigen Gebrauch verschlissen.
    Am East Beach machte ich eine Wende und rannte die eineinhalb Meilen zurück. Dann ging ich in den Block zu meinem Apartment, um mich abzukühlen. Im Abkühlen war ich gut. Ich duschte, zog mich wieder an und sprang dann in meinen Wagen, um zu Pam Sharkeys Büro in der Chapel zu fahren. Pam war die Versicherungsvertreterin, die die Policen für Leonard Grice ausgestellt hatte, und ich wollte dieser Sache noch einmal nachgehen, bevor ich sie zu den Akten legte. Ich vertraue Vera, aber ich verlasse mich lieber nicht zu sehr auf die Aussagen der Menschen. Vielleicht hatte Grice ja eine Riesenpolice von einer anderen Gesellschaft kassiert. Man kann nie wissen.
    Das Valdez-Gebäude liegt an der Ecke Chapel und Feria, das ist das spanische Wort für »Jahrmarkt«. Das weiß ich nur, weil ich es nachgeschlagen habe. Ich habe mal daran gedacht, einen Spanischkurs zu besuchen, aber bisher habe ich es noch nicht geschafft. Ich kann taco und gracias sagen, aber ich kenne kaum ein Verb. Das Valdez ist typisch für die Architektur dieser Stadt: zwei Stockwerke, weiß verputzt, rotes Ziegeldach, große Rundbögen, Fenster mit schmiedeeisernen Gittern davor. Die Markisen sind azurblau, und die Landschaft drumherum besteht aus kleinen, perfekten Rasenstücken. Palmen zieren den Hof, und ein Springbrunnen ist gekrönt mit einem kleinen, nackten Jungen, der etwas Schlimmes mit einem Fisch tut.
    Pam Sharkeys Büro ist im ersten

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