Kinsey Millhone 02- In aller Stille
du dich da reinziehen läßt.«
»Aber was ist, wenn sie gesehen hat, wer Marty umbrachte? Was, wenn das der Grund für ihr Verschwinden war?«
»Dann soll sie mit diesen Informationen herausrücken. Das ist nicht deine Sache. Wenn Lieutenant Dolan dich dabei erwischt, wie du ihm in seinen Fall pfuschst, kriegt er dich am Arsch.«
»In der Tat, das stimmt«, räumte ich reumütig ein. »Aber wie soll ich sonst weitermachen? Ich weiß nicht mehr, wo ich suchen soll.«
»Wer sagt eigentlich, daß sie verschwunden ist? Warum glaubst du nicht, daß sie irgendwo in Sarasota am Strand sitzt und Gin-Tonic schlürft?«
»Weil dann jemand etwas von ihr gehört hätte. Ich glaube, daß ich zwar nicht weiß, ob sie etwas Besonderes vorhat oder vielleicht selbst in Schwierigkeiten steckt. Aber solange sie nicht auftaucht, werde ich auf Büsche klopfen und Trommeln rühren und versuchen sie zu finden.«
»Eine Pseudo-Aufgabe«, sagte er. »Du jagst deinen eigenen Schwanz.«
»Nun, das mag richtig sein, aber ich muß etwas tun.«
Henry sah mich skeptisch an. Er öffnete einen Sack Zucker und wog einen Haufen ab. »Du brauchst einen Hund.«
»Nein, brauche ich nicht. Und was soll das damit zu tun haben? Ich hasse Hunde.«
»Du brauchst Schutz. Diese Geschichte am Strand wäre nicht geschehen, hättest du einen Dobermann gehabt.«
Das nun wieder. Mein Gott, sogar meine Berührung mit dem Tod vor kurzem hatte in einer Abfalltonne stattgefunden... ein kleiner, gemütlicher Ort und ich als schluchzendes Kind darin.
»Ich habe über diesen Kram heute noch nachgedacht, und soll ich dir etwas sagen? All dieses Gerede über die Frau als Pflegerin und Näherin ist Blödsinn. Männer stellen uns ruhig, indem sie uns mit Konsumgütern überhäufen. Wenn mich heute wieder jemand verfolgen würde, ich würde es wieder tun, nur daß ich diesmal wohl nicht zögern würde.«
Henry schien nicht sehr beeindruckt. »Schade, daß du das sagst. Hoffentlich ist das nicht deine neue Linie.«
»Ich meine es ernst. Ich habe es satt, mich hilflos und ängstlich zu fühlen«, sagte ich.
Henry blies seine Wangen auf und stieß einen verächtlichen Pfiff aus, während er mich gelangweilt ansah. Große Worte, sagte seine Miene, aber mir kannst du nichts vormachen. Er schlug ein Ei auf der Arbeitsplatte auf und öffnete es mit einer Hand. Durch die Finger ließ er das Eiweiß langsam in eine Tasse laufen. Er legte das Eigelb in eine Schale, nahm ein weiteres Ei und wiederholte den Vorgang. Seine Augen waren auf mich geheftet.
Er meinte: »Also los, verteidige dich. Wer sollte schon etwas dagegen haben? Aber du kannst die Scheißrhetorik weglassen. Töten ist töten. Schau dir lieber genau an, was du getan hast.«
»Ich weiß«, sagte ich wenig energisch. Der Ausdruck in seinen Augen machte mich verlegen, und auf seine Tonart war ich auch nicht besonders scharf. »Sieh mal, vielleicht habe ich mich noch nicht genug damit auseinandergesetzt. Ich will eben einfach kein Opfer mehr sein. Mir reicht’s.«
Henry hielt die Schale mit den Armen umschlungen und verquirlte die Eier mit routinierter Leichtigkeit. Wenn ich das mache, schwappen die Eier immer über den Rand.
»Wann warst du jemals Opfer? Du mußt dich vor mir nicht rechtfertigen. Was du getan hast, hast du getan. Versuche jetzt bloß nicht, es in einen philosophischen Grundsatz zu verwandeln, das klingt nämlich nicht sehr wahrscheinlich. Es ist ja nicht so, daß du nach monatelanger Erwägung der Fakten eine vernünftige Entscheidung getroffen hättest. Du hast in der Hitze des Gefechts jemanden getötet. Das ist nicht der Ausgangspunkt für eine politische Kampagne, und es bedeutet auch keinen grundlegenden Geisteswandel bei dir.«
Versuchsweise lächelte ich ihn an. »Ich bin doch immer noch ein guter Mensch, nicht wahr?« Ich mochte diesen ernsten Ton nicht. Ich hatte ihm zeigen wollen, daß ich erwachsen war und mit der Realität fertig wurde. Bis zu dem Moment, in dem ich das aussprach, hatte ich nicht gewußt, daß ich so unsicher war.
Er lächelte nicht zurück. Seine Augen ruhten einen Moment lang auf meinem Gesicht und schweiften dann zu den Eiern zurück. »Was du getan hast, ändert nichts daran, Kinsey, aber du mußt ehrlich bleiben. Jemandem das Hirn rauszupusten, kann man nicht einfach wegwischen. Und man kann es nicht in eine intellektuelle Haltung verwandeln.«
»Nein, kann man nicht«, sagte ich unbehaglich. Für einen kurzen Moment schoß mir das Bild des Gesichtes
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