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Kinsey Millhone 02- In aller Stille

Kinsey Millhone 02- In aller Stille

Titel: Kinsey Millhone 02- In aller Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Dinner zu Rosie, einem kleinen Lokal einen halben Block von meinem Apartment entfernt. Das ist eine Kreuzung zwischen einer Eckkneipe und einer altmodischen Gaststätte, eingeklemmt zwischen einem Waschsalon an der Ecke und einem Reparaturgeschäft für Elektrogeräte, das ein Mann namens McPherson in seinem Haus betreibt. Jedes dieser drei Geschäfte existiert seit mehr als fünfundzwanzig Jahren und ist heute theoretisch illegal, denn sie alle repräsentieren Gebietsübertretungen einer besonders schweren und anstößigen Art — zumindest für Leute, die woanders leben. Alle paar Jahre bekommt ein übereifriger Bürger einen Wutanfall, zieht vor den Stadtrat und prangert die Freveltaten dieses Zweiges unversehrter Wohnintegrität an. In den vergangenen Jahren haben wohl mehrfach Gelder den Besitzer gewechselt.
    Rosie selbst ist vielleicht fünfundsechzig, Ungarin, klein und oben schwerer als unten, ein Geschöpf mit hennagefärbten Haaren, die ihr weit in die Stirn wachsen. Ihr Lippenstift hat einen flammend orangefarbenen Ton und reicht gewöhnlich über die tatsächliche Form ihres Mundes hinaus. Das vermittelt den Eindruck, sie hätte früher mal ein viel größeres Paar Lippen gehabt. Mit ihrem braunen Augenbrauenstift geht sie so verschwenderisch um, daß ihre Augen finster und vorwurfsvoll blicken. Die Spitze ihrer Nase berührt beinahe die Oberlippe.
    Ich setzte mich nach hinten in die übliche Nische. Ein vervielfältigtes Blatt in einem durchsichtigen Plastikumschlag steckte als Speisekarte zwischen der Ketchupflasche und dem Serviettenhalter. Die Eintragungen waren in blaßvioletter Schreibmaschinenschrift, wie diese Benachrichtungen, die wir in der Grundschule immer mit nach Hause bekamen.
    Die meisten Speisen waren in Ungarisch aufgeführt; Wörter mit vielen Akzentzeichen und Zetts und Doppelpunkten, die auf feurige und emphatische Gerichte schließen ließen.
    Rosie kam, Block und Bleistift balancierend, heranmarschiert. Sie wirkte distanziert. Durch irgend etwas fühlte sie sich wohl beleidigt, aber ich war noch nicht sicher, was ich ihr getan hatte. Sie riß mir die Speisekarte aus den Händen, legte sie zurück und notierte, ohne mich zu fragen, eine Bestellung. Wenn man die Art, wie dieses Lokal geführt wird, nicht mag, muß man halt woanders hingehen. Sie beendete ihre Notizen und schielte auf den Block, um das Ergebnis zu überprüfen. Sie wollte mir nicht so recht in die Augen sehen.
    »Eine Woche lang warst du jetzt nicht mehr da, also dachte ich, du wärst mir böse«, sagte sie. »Ich wette, du hast so ’n Scheißfraß gegessen, stimmt’s? Antworte nicht. Ich will nichts davon hören. Du bist mir keine Rechtfertigung schuldig. Du kannst nur froh sein, daß ich dir etwas Gescheites gebe. Hier, das wirst du bekommen.«
    Sie schaute nochmals kritischen Auges auf den Block und las mir dann mit einem Interesse die Bestellung vor, als wäre sie auch ihr völlig neu.
    »Grüner Paprikasalat. Fantastisch. Der beste. Ich mache ihn selbst, deshalb weiß ich, daß er gut ist. Olivenöl, Essig, kleine Prise Zucker. Das Brot kannst du vergessen, es ist keins mehr da. Henry hat mir heute kein frisches gebracht, also was soll ich tun? Vielleicht ist er mir auch böse. Woher soll ich wissen, was ich getan habe? Niemand sagt mir was. Dann gebe ich dir sauren Ochsenschwanz-Eintopf.«
    Sie strich das durch. »Zu fettig. Nichts für dich. Statt dessen gebe ich dir Tejfeles Sult Ponty, feiner Hecht in Sahne gebacken, und wenn du deinen Teller leermachst, könnte ich dir fritierte Kirschen geben, wenn ich meine, daß du sie verdient hast, was du nicht hast. Den Wein bringe ich mit dem Besteck zusammen. Ist österreichischer, aber okay.«
    Dann marschierte sie aufrecht von dannen. Ihre Haare hatten die Farbe getrockneter Mandarinenschalen. Manchmal hat ihre Rauheit einen exzentrischen Charme an sich, doch ebensooft ist sie einfach irritierend, etwas, das man ertragen muß, wenn man Rosies Gerichte essen will. An manchen Abenden kann ich diese verbale Anmache nicht ertragen, und ziehe statt dessen die unpersönliche Automatik eines Drive-In-Restaurants oder die Ruhe und den Frieden eines Erdnußbutter- und Dillgurkensandwiches zu Hause vor.
    An diesem Abend war es leer bei Rosie, und es wirkte düster und nicht sehr sauber. Die Wände sind mit Sperrholzbrettern in Selbstbauweise verkleidet und dunkel gebeizt, mit einem matten Überzug aus Kochdünsten und Zigarettenrauch. Die Beleuchtung ist falsch — zu hell,

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