Kinsey Millhone 02- In aller Stille
Exotisches. Volle Lippen, kleine gerade Nase. Ihre Fingernägel waren lang und gebogen und wirkten hart wie Horn. Vielleicht war sie in einem früheren Leben eine Art Höhlentier gewesen. Nachdenklich schob sie die Brille wieder in die richtige Stellung.
»Tja, ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll«, begann sie. »Sie hat ihre Tickets immer über uns gekauft, aber dieses ist am Flughafen ausgestellt worden.« Sie berührte eine Ecke des Durchschlags und drehte das Ticket so, daß ich es lesen konnte. Das erinnerte mich an die Lehrer in der Grundschule, die es immer irgendwie schafften, ein Bilderbuch zu lesen, während sie es nach vorn und zur Seite gerichtet hielten. »Diese Ziffern bedeuten, daß es von der Fluggesellschaft ausgestellt und mit Kreditkarte bezahlt wurde.«
»Welche Sorte Kreditkarte?«
»American Express. Die hat sie gewöhnlich für Reisen benutzt, aber ich sage Ihnen, was merkwürdig ist. Sie hatte Reservierungen vornehmen lassen, für den... einen Moment. Ich schau mal nach.« Lupe tippte einige Zahlen in ihr Computer-Terminal, und ihre Nägel vollführten einen Steptanz auf den Tasten. Der Computer spuckte Zeile um Zeile grüner, druckähnlicher Leuchtzeichen aus. Sie studierte den Bildschirm.
»Es war vorgesehen, daß sie am dritten Februar aus L. A. fliegt, erster Klasse, und der Rückflug am dritten August stattfindet, und für diese Tickets wurde bereits bezahlt.«
»Ich hörte, daß sie sehr spontan abgefahren ist«, meinte ich. »Wenn sie die Reservierung am Wochenende vornehmen lassen wollte, mußte sie das doch über die Fluggesellschaften machen, oder?«
»Klar, aber sie hätte die Tickets, die sie bereits hatte, nicht einfach vergessen. Warten Sie einen Moment, und ich werde nachsehen, ob sie sie jemals abgeholt hat. Sie hätte sie Umtauschen können.«
Sie stand auf, ging zu einem Aktenschrank an der gegenüberliegenden Wand und ging einige Akten durch. Dann zog sie ein Paket heraus und überreichte es mir. Es war eine Sammlung Tickets und ein Reiseplan, die in einem Reiseumschlag der Agentur steckten. Elaines Name war ordentlich auf die Vorderseite getippt.
»Das ist ein Wert von tausend Dollars in Tickets«, erläuterte Lupe. »Man sollte meinen, sie hätte uns angerufen und sie gegen Bargeld eingetauscht, nachdem sie in Boca angekommen war.«
Ich fühlte ein Frösteln. »Ich bin mir nicht sicher, ob sie da ankam«, meinte ich. Eine ganze Minute lang saß ich mit den nicht benutzten Tickets in der Hand da. Was sollte das? Ich griff in meine Tasche und zog den original TWA-Umschlag hervor, den mir Julia Ochsner geschickt hatte. Auf der Rückseite waren die vier Gepäckscheine mit den aufeinanderfolgenden Nummern, die immer noch fest an ihrer Stelle hafteten. Lupe sah mir zu.
Ich dachte an meinen eigenen kurzen Flug nach Miami, und wie ich um Viertel vor fünf morgens aus dem Flugzeug gestiegen und an den Schränken mit der Glasfront vorbeigegangen war, in denen die verlorengegangenen Koffer gestapelt waren.
»Ich möchte, daß Sie Miami International für mich anrufen«, sagte ich langsam. »Geben wir eine Verlustanzeige auf und warten wir, ob was dabei herauskommt.«
»Haben Sie Taschen verloren?«
»Ja, vier Stück. Rotes Leder mit grauer Stoffeinfassung. Feste Seiten, abgestufte Größen, und ich vermute, daß eine davon eine Umhängetasche ist. Hier sind die Gepäckscheine dafür.« Ich schob den Umschlag über den Tisch, und sie schrieb sich die Nummern auf.
Dann gab ich ihr meine Karte, und sie sagte, sie würde sich melden, sobald sie etwas gehört habe.
»Eine Frage noch«, sagte ich. »War der Flug, den sie genommen hat, nonstop?«
Lupe schaute auf den Durchschlag und schüttelte den Kopf. »Ins Schwarze. Sie hatte einen Zwischenstop mit Umsteigen in St. Louis.«
»Danke.« Als ich zum Büro kam, blinkte das Nachrichtenlicht an meinem Anrufbeantworter. Ich drückte auf den Rücklaufknopf.
Es war mein Punk-Freund Mike. »Heh, Kinsey? O Scheiße, ein Band. Na ja, auch egal. Ich ruf Sie dann später noch mal an, okay? Ach so. Hier ist Mike, und da gibt’s einfach etwas, worüber ich mich mit Ihnen unterhalten möchte, aber jetzt habe ich Schule. Jedenfalls ruf ich dann später noch mal an, okay? Bye.«
Ich machte mir eine Notiz. Die Zeituhr am Band zeigte an, daß er um 7.42 Uhr morgens angerufen hatte. Vielleicht würde er es nachmittags noch mal versuchen. Ich wünschte, er hätte mir eine Nummer hinterlassen.
Ich rief Jonah an und erzählte ihm von
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