Kinsey Millhone 02- In aller Stille
tief, als würde sie vor einer Operation Äther einatmen. Ich wünschte, Zigaretten würden mir auch so guttun. Jedesmal, wenn ich mal einen Zug genommen habe, hatte mein Mund nach einer Mischung aus verbrannten Ästen und faulen Eiern geschmeckt. Und mein Atem muß ungefähr genauso gut gerochen haben, da bin ich sicher. Mein Büro sah jetzt aus, als wäre Nebel hereingerollt.
Hoffnungslos schüttelte sie den Kopf. »Sie haben ja keine Ahnung, was ich mitgemacht habe«, meinte sie.
»Hören Sie«, sagte ich, »nur, um das klarzustellen — «
»Ich weiß, daß Sie nichts getan haben. Es ist nicht Ihr Fehler.« Ihre Augen füllten sich kurz mit Tränen. »Ich sollte mittlerweile daran gewöhnt sein, denke ich.«
»Gewöhnt sein woran?«
Sie fing an, das Kleenex in ihrem Schoß zu falten. Langsam begann sie ihre Schilderung, dabei ständig um Beherrschung ringend. Die Sätze wurden von Schweigen und kleinen summenden Geräuschen unterbrochen, wenn ihr die Tränen die Stimme erstickten. »Er... hm... geht zu allen möglichen Leuten. Und er erzählt ihnen... äh... daß ich trinke, und manchmal behauptet er, ich sei eine Nymphomanin, oder er sagt, ich würde mit Elektroschocks behandelt. Was ihm gerade einfällt. Wovon er denkt, daß es mir den größten Schaden zufügen könnte.«
Ich war mir nicht sicher, was ich damit anfangen sollte. Er hatte mir gesagt, sie sei Alkoholikerin. Er hatte mir gesagt, sie ginge auf dreitägige Sauftouren. Er hatte mir gesagt, sie habe ihn mit einer Schere angegriffen und möglicherweise ihre Schwester umgebracht, aus Rache für eine Affäre, die er mit ihr gehabt hatte. Jetzt saß sie hier, weinte sich das kleine Herz aus dem Leib und behauptete, daß er der Urheber all dieses verrückten, pathologischen Zeugs war. Wem von beiden sollte ich nun glauben?
Sie riß sich zusammen und gönnte ihrer Nase den bekannten geräuschlosen Druck. Sie schaute mich an. Das Weiße ihrer Augen war nun rosa gefärbt.
»Hat er Ihnen nicht so etwas erzählt?« fragte sie.
»Ich glaube, er war einfach beunruhigt über Elaine«, erwiderte ich und versuchte auszuweichen, bis ich entscheiden konnte, was ich tun sollte. »Wir haben wirklich nichts Persönliches besprochen, also brauchen Sie sich deshalb keine Sorgen zu machen. Wie haben Sie herausgefunden, daß er hier war?«
»Irgend etwas kam in einem Gespräch heraus«, antwortete sie. »Ich kann mich nicht mal mehr erinnern, was es war. So geht er mit solchen Dingen um. Er gibt mir diese Anhaltspunkte. Er läßt Beweise herumliegen und wartet darauf, daß ich sie entdecke. Und wenn ich nicht zufällig darüber stolpere, stößt er mich genau drauf, und dann lehnt er sich zurück und heuchelt Zerknirschtheit und Erstaunen.«
Beinahe hätte ich gesagt: »Wie bei seiner Affäre mit Elaine«, aber plötzlich kam mir der Gedanke, daß es möglicherweise gar nicht stimmte, oder wenn es stimmte, daß sie möglicherweise doch nichts davon wußte. »Zum Beispiel?« fragte ich.
»Er hatte eine Affäre mit Elaine. Er hat mit meiner einzigen Schwester herumgebumst. Mein Gott, ich kann’s nicht fassen, daß er mir das angetan hat. Ich hatte keinerlei Zweifel, daß sie es getan hat. Sie war immer schon eifersüchtig. Sie hätte alles genommen, was sie kriegen konnte. Aber er. Ich fühlte mich so verarscht. Er ging hin und vögelte sie, kaum, daß Max tot war, und ich war so ein Esel, daß ich es jahrelang nicht herausgefunden habe! Ich habe Jahre dafür gebraucht.«
Sie ließ eines dieser sprudelnden Lachen hören, das aber mehr voll Hysterie als voll Heiterkeit war. »Armer Aubrey. Er muß mit seiner Weisheit fast am Ende gewesen sein, bei dem Versuch, mich das herausfinden zu lassen. Schließlich kam er mit dieser absurden Geschichte über das Finanzamt an, das seine Steuern prüfen will. Ich sagte ihm, der Buchhalter könne sich darum kümmern, aber er meinte, Harvey wolle, daß wir die alten Schecks und Kreditkartenquittungen durchgingen. Also machte ich es, wie ein Kasper, und da war’s.«
»Warum sind Sie nicht gegangen?« fragte ich. »Ich verstehe nicht, wie Sie in solch einer Beziehung bleiben können.« Ich sage immer dasselbe. Jedesmal, wenn ich so eine Geschichte höre. Trunkenheit, Schläge, Untreue und Beschimpfungen. Ich krieg’s einfach nicht in den Kopf. Warum lassen sich Leute so etwas gefallen? Ich hatte es Aubrey gesagt, also dachte ich, ich könnte es ihr genausogut sagen. Diese Ehe war ein Chaos, und, ungeachtet der Wahrheit, waren
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