Kinsey Millhone 02- In aller Stille
ausländische Agenten, die einander an einem abgelegenen Treffpunkt geheime Signale zusenden.
An einem Stand machte ich halt, um mir eine Zeitung zu kaufen. Ein Coffee-Shop hatte geöffnet, und ich besorgte mir Rühreier, Schinken, Toast und Saft und nahm mir viel Zeit fürs Frühstück. Dabei las ich eine menschlich nahegehende Geschichte über einen Mann, der sein ganzes Geld einem Hirtenstar-Vogel vererbt hatte. Vor sieben Uhr morgens kann ich mir die Titelseite einfach nicht antun.
Um Viertel vor neun, nachdem ich zweimal von einem Ende des Flughafens zum anderen gelaufen war, postierte ich mich mit einem Gepäckwagen, den ich mir für einen Dollar gemietet hatte, in der Nähe der Gepäckaufbewahrung. Ich sah Elaines Koffer säuberlich auf der einen Seite des verschlossenen Schrankes mit der Glastür aufgestapelt. Es schien, als hätte sie jemand vorsichtshalber schon unter dem Stapel hervorgezerrt. Schließlich schloß ein Mann mittleren Alters in einer TWA-Uniform mit einem klingelnden großen Schlüsselbund die kleine Kabine auf und schaltete das Licht ein. Das wirkte, als würde sich der Vorhang zu einem Einakter mit anspruchslosem Bühnenbild öffnen.
Ich stellte mich mit den Gepäckscheinen vor. Dann folgte ich ihm zu den Lagerschränken und wartete, während er die Koffer herauszog und sie auf den Wagen packte. Ich hatte erwartet, daß er mich nach meinen Papieren fragen würde, aber anscheinend war es ihm egal, wer ich war. Vielleicht sind herrenlose Taschen wie ein Wurf unerwünschter Kätzchen. Er war einfach dankbar, daß sie ihm jemand abnahm.
Als der Stand von Penny-Car Rental öffnete, mietete ich mir einen Kombi. Ich hatte Julia am Abend vorher angerufen, also wußte sie Bescheid, daß ich kam. Nun mußte ich nur noch den Highway wiederfinden und Richtung Norden fahren. Draußen schob ich den Gepäckwagen in die Spur, in der das gemietete Auto geparkt war. Der Nieselregen legte sich wie eine Schicht Seide auf meine Haut. Die Morgenluft war heiß und schwül und roch nach Regen und den Auspuffgasen der Jets. Ich lud die Taschen in den Kofferraum und fuhr nach Boca. Erst als ich auf dem Parkplatz der Wohnanlage angekommen war und die Koffer einen nach dem anderen wieder auslud, fiel mir auf, daß alle vier verschlossen waren und ich keinen Schlüssel hatte. Tja, das war ja reizend. Vielleicht hatte Julia eine Idee. Ich schleppte sie zum Aufzug hinüber, fuhr in den dritten Stock und zerrte sie in zwei Gängen vor Julias Eingangstür.
Ich klopfte und wartete eine lange Weile lang, während Julia mit ihrem Stock zur Tür humpelte und mir Mut zurief.
»Ich komme. Nicht aufgeben. Jetzt noch sechs Fuß zu gehen, und ich komme schnell näher.«
Auf meiner Seite der Tür lächelte ich und schielte zu Elaines Apartment hinüber. Kein Lebenszeichen. Sogar die Fußmatte war hereingenommen oder weggeworfen worden und hatte ein Rechteck aus feinem Sand hinterlassen, der durch die Borsten gefiltert worden war.
Julias Tür öffnete sich. Der vom Alter gekrümmte Rücken lag ihr wie ein Gewicht zwischen den Schulterblättern und zwang sie, sich unter seiner Last zu beugen. Sie schien auf meine Taille zu starren und neigte den Kopf mit den Löwenzahnfusseln seitwärts, damit sie zu mir hochschauen konnte. Ihre Haut wirkte dünn wie Gummi, über ihre Hände gezogen wie Operationshandschuhe. Ich sah Venen, zerstörte Kapillare und ihre Fingergelenke, die knotig wie ein Seil waren. Das Alter machte sie durchsichtig und zerdrückte sie von beiden Seiten aus wie eine Dose Sodawasser.
»Ja, Kinsey! Ich wußte, daß Sie das sein würden. Seit sechs Uhr heute morgen bin ich schon wach und freue mich auf diesen Moment. Kommen Sie rein.«
Sie humpelte zur Seite und machte mir Platz. Ich stellte die vier Koffer durch die Tür und schloß sie hinter mir. Sie klopfte mit dem Stock darauf. »Ich erkenne sie.«
»Leider sind sie verschlossen.«
Jede der vier Taschen hatte offensichtlich ein Kombinationsschloß. Die Zahlen waren auf einer in den Metallhaken eingefügten Ziffernskala angeordnet.
»Wir werden ein bißchen Dektektivarbeit leisten müssen«, meinte sie befriedigt. »Möchten Sie erst mal einen Kaffee? Wie war Ihr Flug?«
»Sehr gerne«, erwiderte ich. »Der Flug war nicht schlecht.«
Julias Wohnung war voll mit Antiquitäten: eine sonderbare Mischung aus viktorianischen Stücken und orientalischen Möbeln. Sie hatte ein riesiges geschnitztes Kirschbaum-Sideboard mit einer Auflage aus Marmor, ein
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