Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief
mich zu konzentrieren, und ich nahm an, daß sie einen beträchtlichen Scharfsinn für alle Themen, die Geld betrafen, mitbrachte. Kaum sichtbar zog sie eine Augenbraue hoch.
»Er. Er verfügt über sein Vermögen, seit er einundzwanzig ist. Warum fragen Sie?«
»Ich weiß immer gern, wem ich Bericht erstatten muß«, meinte ich. »Wie denken Sie über seine Behauptung, daß jemand versucht, ihn umzubringen?«
Sie brauchte einen Moment für die Antwort und zuckte dann sanft die Achseln. »Es ist möglich. Die Polizei scheint davon überzeugt zu sein, daß ihn jemand die Brücke hinuntergedrängt hat. Ob das vorsätzlich geschehen ist? Ich hab keine Ahnung.« Sie sprach leise, deutlich und eindringlich.
»Nach dem, was Bobby erzählt hat, waren es lange neun Monate.«
Sie fuhr mit dem Daumennagel an ihrem Hosenbein entlang und richtete ihre Äußerung an die Hosennaht. »Ich weiß nicht, wie er das überlebt hat. Er ist mein einziges Kind, der Lichtblick in meinem Leben.«
Sie hielt inne, lächelte ein wenig in sich hinein und schaute mich dann mit einer unerwarteten Scheu an. »Ich weiß, alle Mütter müssen so reden, aber er war etwas Besonderes. War er wirklich. Schon von Kindheit an. Klug, aufgeweckt, umgänglich, schnell. Und großartig. So ein hübscher kleiner Junge, unbeschwert und herzlich, witzig. Er war zauberhaft.
In der Nacht dieses Unfalls kam die Polizei zu uns ins Haus. Sie waren nicht in der Lage gewesen, uns vor vier Uhr morgens zu benachrichtigen, weil sie das Auto erst eine Weile lang suchen mußten und es Stunden dauerte, bis sie die beiden Jungen den Bergabhang hinaufgeschafft hatten. Rick war natürlich sofort tot.«
Sie brach ab, und ich dachte schon, sie habe den Faden verloren. »Egal. Jedenfalls klingelte es an der Tür. Derek ging hinunter, und als er nicht wiederkam, schnappte ich mir einen Bademantel und ging selbst hinunter. Ich sah zwei Polizisten im Foyer. Ich dachte, sie wären gekommen, um uns von einem Einbruch in der Nachbarschaft oder einem Unfall vorn auf der Straße zu berichten. Derek drehte sich um, und er hatte so einen schrecklichen Ausdruck auf dem Gesicht. Er sagte, >Glen, es ist Bobby.< Ich dachte, mir blieb das Herz stehen.«
Sie schaute zu mir hoch, und ihre Augen glänzten vor Tränen. Sie faltete die Finger ineinander, formte mit den beiden Zeigefingern eine Spitze und legte sie an die Lippen. »Ich dachte, er sei tot. Ich dachte, sie seien gekommen, um mir zu sagen, daß er gestorben ist. Ich fühlte eine Spitze aus Eis in mir, als würde ich durchbohrt. Es begann in meinem Herzen und ging durch meinen Körper, bis meine Zähne klapperten. Zu dem Zeitpunkt war er im St. Terry. Alles, was wir wußten, war, daß er noch lebte, aber kaum noch. Als wir zum Krankenhaus kamen, machte uns der Arzt überhaupt keine Hoffnungen. Nicht eine. Sie sagten uns, es gebe umfassende Verletzungen. Gehirnschäden und unendlich viele gebrochene Knochen. Sie sagten, er würde nie wieder gesund, und daß er nur noch dahinvegetieren könnte, wenn er überlebte. Ich starb. Ich starb, weil Bobby dabei war zu sterben, und das dauerte noch tagelang. Ich wich nicht mehr von seiner Seite. Ich war verrückt, schrie jeden an, Schwestern, Ärzte...«
Ihr Blick wurde flacher, und sie hob einen Zeigefinger, wie ein Lehrer, der einen bestimmten Punkt ganz klar machen will. »Ich werde Ihnen sagen, was ich gelernt habe«, begann sie vorsichtig. »Ich habe verstanden, daß ich Bobbys Leben nicht kaufen konnte. Geld kann kein Leben kaufen, aber es kann alles andere kaufen, was man haben will. Ich hatte Geld nie in diesem Sinne verwendet, was mir jetzt seltsam erscheint. Meine Eltern hatten Geld. Die Eltern meiner Eltern hatten Geld. Ich habe immer die Macht des Geldes begriffen, doch hatte ich sie nie mit diesem Zweck ausgeübt. Er hatte das Beste von allem. Das Beste! An nichts war gespart worden. Und er fiel heraus. Nachdem ich so viel durchgemacht habe, hasse ich den Gedanken, jemand könnte das absichtlich gemacht haben. Gemessen an all den Zielen und Plänen, ist Bobbys Leben ruiniert. Er wird in Ordnung kommen, und wir werden für ihn eine Möglichkeit finden, sein Leben produktiv zu verbringen, aber nur, weil wir in einer Position sind, die uns das möglich macht. Die Verluste sind groß. Es ist ein Wunder, daß er so weit gekommen ist.«
»Haben Sie eine Ahnung, warum jemand versuchen könnte, ihn umzubringen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Sie sagten, Bobby habe sein eigenes Geld.
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