Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief
hergekommen sind. Ich schätze Ihre Anteilnahme. Wenn ich Ihnen irgendwie behilflich sein kann, lassen Sie es mich wissen.«
Wir gingen den halben Block zu meinem Wagen und trennten uns dann. In meinem Rückspiegel beobachtete ich, wie er zum Besucherparkplatz gegenüber dem Krankenhaus schlenderte. Ich habe den Verdacht, daß er mehr Fahrtüchtigkeit vortäuschte, als er tatsächlich besaß. Wir waren nur eine halbe Stunde im Plantación gewesen, und ich habe gesehen, wie er zwei Martinis gekippt hatte. Ich ließ den Wagen an, wendete und hielt neben ihm. Ich beugte mich über den Sitz und öffnete die Beifahrertür. »Sol! ich Sie nicht mitnehmen?«
»Nein, nein, mir geht’s gut«, meinte er. Einen Moment lang stand er da, leicht schwankend. Ich konnte sehen, wie die Botschaft durch sein zentrales Nervensystem weitergegeben wurde. Stirnrunzelnd legte er den Kopf schief, stieg in den Wagen und zog die Tür zu. »Ich habe genug Probleme, stimmt’s?«
»Stimmt«, bestätigte ich.
7
Als ich am nächsten Morgen um neun ins Büro kam, hatte mir Bobbys Anwalt bereits Kopien des ersten Unfallberichtes zugesandt. Dabei lagen Notizen über die nachfolgenden Untersuchungen sowie etliche Farbfotografien im Format zwanzig mal dreißig, die in glänzenden Einzelheiten zeigten, wie total demoliert Bobbys Wagen und wie tot Rick Bergen als Folge davon war. Seine Leiche war auf halber Höhe des Abhangs gefunden worden, zerquetscht und verstümmelt. Ich schreckte vor dem Anblick zurück, als hätte man mir mit einem grellen Licht in die Augen geleuchtet, und als Reaktion darauf fuhr mir ein heftiger Schock durch die Knochen. Ich mußte mich gegen einen weiteren Blick wappnen, damit ich die Details nüchtern studieren konnte. Etwas an der Art, wie die Lampen des Polizeifotografen gegen die grelle Dunkelheit der Nacht eingesetzt worden waren, ließ den Tod hier schrill erscheinen, wie in einem Low-Budget-Horrorfilm, der so gut wie keine Handlung hat. Ich wühlte mich durch den Stapel, bis ich Fotografien des eigentlichen Unfallorts gefunden hatte.
Bobbys Porsche hatte ein Stück Leitplanke herausgerissen, eine Zwergeiche entwurzelt, Felsblöcke geschrammt und einen langen Graben durchs Unterholz gepflügt. Offensichtlich hatte sich der Wagen fünf- oder sechsmal überschlagen, bevor er am Grunde der Schlucht als chaotische Masse aus verbeultem Metall und zersplittertem Glas zum Stillstand gekommen war. Es gab mehrere Ansichten des Wagens, frontal und von der Seite, die seine Position im Verhältnis zu verschiedenen Orientierungspunkten der Gegend zeigten, und dann die Nahaufnahmen von Bobby, bevor ihn die Unfallmannschaft aus den Trümmern geborgen hatte. »Ach du Scheiße«, keuchte ich. Ich legte den Stapel einen Moment lang weg und hielt mir eine Hand vor die Augen. Da hatte ich noch nicht einmal meinen Kaffee getrunken und sah mir schon menschliche Körper an, deren Inneres mit Gewalt nach außen gekehrt war.
Ich öffnete die Schiebetüren, trat auf den Balkon hinaus und sog etwas Frischluft ein. Unter mir lag ordentlich und ruhig die State Street. Es gab nur wenig Verkehr, und die Fußgänger befolgten die Ampelsignale, als würden sie in einem Lehrfilm für Grundschulkinder auftreten, der ihnen beibringen soll, wie man sich auf der Straße zu benehmen hat. Ich beobachtete, wie all diese gesunden Menschen hin und her gingen. Ihre Glieder waren intakt und ihre Knochen noch von Fleisch umgeben. Die Sonne schien, und die Palmen wurden durch keinen Windstoß gestört. Alles sah völlig normal aus, aber nur in diesem Moment und nur von meinem Blickwinkel aus. Der Tod kann jederzeit hervorspringen, als kreischender Springteufel mit einem starren, blutigen Grinsen.
Ich ging wieder hinein, machte mir eine Kanne Kaffee und setzte mich dann an den Schreibtisch, um die Fotos nochmal durchzugehen und mir jetzt die Zeit zu nehmen, die Polizeiberichte zu studieren. Eine Kopie des Autopsieberichts über Rick Bergen war beigefügt, und mir fiel auf, daß sie von Jim Fraker durchgeführt worden war, dessen Pflichten im St. Terry wohl auch solche Dienstleistungen umfaßten. Santa Teresa ist eine zu kleine Stadt, als daß sie sich eine eigene Leichenhalle und einen eigenen Leichenbeschauer für ihre Polizei leisten könnte, also werden diese Aufträge nach draußen vergeben.
Der Bericht, den Dr. Fraker diktiert hatte, reduzierte Ricks Tod eindrucksvoll auf Bemerkungen über das kraniozerebrale Trauma, das er erlitten hatte. Dazu kam ein
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