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Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief

Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief

Titel: Kinsey Millhone 03 - Abgrundtief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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bringen.«
    Ich fühlte, wie sich mein Mund öffnete, aber ich konnte keinen Ton herausbringen.
    »Wir können das später besprechen«, murmelte Henry und faßte sie am Arm. Er steuerte sie um mich herum, doch ihre Augen waren immer noch auf meine geheftet, und ihr Nacken und die Wangen waren inzwischen fleckig vor Wut. Ich drehte mich um und sah ihnen nach, während Henry sie in Richtung Hintertreppe brachte. Sie begann bereits im gleichen unwirklichen Tonfall zu protestieren, wie ich ihn neulich abends gehört hatte. War diese Frau verrückt?
    Als sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, fing mein Herz an zu klopfen, und ich spürte, daß ich schweißgebadet war. Ich band den Schlüssel an meine Schnürsenkel und lief los. Lange bevor ich Gelegenheit hatte, mich aufzuwärmen, verfiel ich bereits in Trab. Ich rannte, um mich von ihr zu entfernen.
    Ich lief drei Meilen, ging dann zu meiner Wohnung zurück und schloß auf. Henrys Jalousien waren heruntergelassen und die Fenster geschlossen. Die Rückseite seines Hauses wirkte leer und abweisend wie ein geschlossenes Strandbad.
    Ich duschte, warf mir ein paar Sachen über und ging dann hinaus, um diesem Ort zu entfliehen. Ich fühlte mich immer noch getroffen, doch langsam stieg auch eine gewisse Wut in mir auf. Was ging sie das überhaupt an? Und warum war Henry mir nicht zu Hilfe gekommen?
    Als ich Rosies Restaurant betrat, war es Nachmittag und keine Menschenseele in Sicht. Das Lokal war düster und stank nach dem Zigarettenrauch des vergangenen Abends. Der Fernsehapparat auf der Theke war ausgeschaltet, und die Stühle standen noch umgedreht auf den Tischflächen wie eine Artistentruppe, die ihre Kunststückchen vorführt. Ich ging nach hinten und öffnete die Schwingtür zur Küche. Überrascht sah Rosie auf. Sie saß auf einem hohen Holzhocker und hatte ein Hackmesser in der Hand, mit dem sie Lauch hackte. Sie haßte es, wenn jemand in ihre Küche eindrang, wahrscheinlich weil sie gesetzliche Hygienevorschriften verletzte.
    »Was ist passiert?« fragte sie nach einem Blick auf mich.
    »Ich hatte eine Begegnung mit Henrys Freundin«, erwiderte ich.
    »Aha«, nickte sie. Sie hackte eine Stange Lauch mit dem Hackmesser, daß die Stücke nur so flogen. »Sie kommt nicht hierher. Sie weiß, warum.«
    »Rosie, diese Frau ist reif fürs Irrenhaus. Sie hätten sie hören sollen, neulich abends, nachdem sie sich mit Ihnen angelegt hatte. Stundenlang hat sie getobt und geschäumt. Jetzt beschuldigt sie mich, Henry mit der Miete zu betrügen.«
    »Setz dich. Ich hab hier irgendwo Wodka.« Sie ging an den Schrank über dem Spülbecken und zog auf Zehenspitzen eine Wodkaflasche heraus. Dann brach sie das Siegel auf und goß mir einen Schluck in eine Kaffeetasse. Nach einem Achselzucken goß sie sich selbst auch einen ein. Als wir ihn getrunken hatten, konnte ich das Blut in mein Gesicht zurückschießen spüren.
    Unwillkürlich entfuhr mir ein »Puh!«. Meine Speiseröhre brannte, und ich fühlte, wie sich die Konturen meines Magens mit Hilfe des Alkohols abzeichneten. Ich hatte mir meinen Magen immer viel weiter unten vorgestellt. Verrückt. Rosie gab die geschnittenen Lauchstücke in eine Schüssel und spülte das Hackmesser unter Wasser ab, bevor sie sich wieder mir zuwandte.
    »Hast du zwanzig Cents? Gib mir zwei Zehner«, forderte sie mit ausgestreckter Hand. Ich suchte in meiner Handtasche herum und förderte etwas Kleingeld zutage. Rosie nahm es und ging zum Münztelefon an der Wand. Jeder mußte dieses Münztelefon benutzen, sogar sie selbst.
    »Wen rufen Sie an? Doch nicht etwa Henry«, rief ich erschrocken.
    »Schsch!« Sie hielt eine Hand hoch, um mich zum Schweigen zu bringen. Ihr Blick war konzentriert, wie man es macht, wenn jemand am anderen Ende den Hörer abnimmt. Ihre Stimme wurde säuselnd und klebrig.
    »Hallo Liebes. Hier ist Rosie. Was machst du gerade? Nein, nein, aber ich glaube, du solltest besser mal rüberkommen. Wir haben da eine Kleinigkeit zu besprechen.«
    Sie warf den Hörer auf die Gabel, ohne eine Antwort abzuwarten, und starrte mich dann befriedigt an. »Mrs. Lo-wenstein kommt auf einen Plausch rüber.«
    Moza Lowenstein saß auf dem Stuhl aus Chrom und Plastik, den ich ihr von der Theke geholt hatte. Sie ist eine große Frau, deren Haare die Farbe einer gußeisernen Bratpfanne haben. Sie trägt sie in Zöpfen, die um den Kopf gewunden sind, und Silbersträhnen durchziehen sie wie Lametta. Ihr Gesicht mit dem blassen Puder hat das

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