Kinsey Millhone 04 - Ruhelos
verrenkte mich, bis er mich sehen konnte. »Ich bin es, keine Angst. Du wirst wieder gesund. Gleich kommt Hilfe.«
Billys Blick wanderte zu mir. Sein Gesicht war grau, und eine Pfütze aus ziemlich rotem Blut unter ihm wurde immer größer. Ich nahm seine Hand und hielt sie. Eine Menschenmenge sammelte sich, von allen Seiten kamen Leute herbeigerannt. Ich konnte sie hinter meinem Rücken murmeln hören.
Jemand reichte mir ein Handtuch. »Wollen Sie ihn damit zudecken?«
Ich nahm das Handtuch. Ich ließ ihn gerade lange genug los, um sein Hemd aufzuknöpfen, öffnete es, damit ich sehen konnte, womit ich es zu tun hatte. In seinem Bauch war ein Loch. Man mußte von hinten auf ihn geschossen haben, denn was ich vor mir sah, war eine ausgefranste Austrittswunde, aus der Blut quoll. Die Kugel mußte die Baucharterie getroffen haben. Ein Stück seiner Eingeweide war sichtbar, grau und glänzend wölbte es sich aus dem Loch. Ich spürte, wie meine Hände zu zittern anfingen, aber ich zwang mich zu einem nichtssagenden Gesichtsausdruck. Er beobachtete mich, versuchte, in meinem Gesicht zu lesen. Ich machte ein Kissen aus dem Handtuch, preßte es auf die Wunde, um das Blut zu stoppen.
Er stöhnte, atmete schnell. Seine eine Hand lag auf der Brust, seine Finger flatterten. Ich nahm wieder seine Hand, drückte sie fest.
Er bewegte den Kopf. »Wo... ist mein Bein? Ich kann da unten nichts fühlen.«
Ich warf einen Blick zu seinem rechten Knie. Es sah aus, als wäre das Hosenbein an einem Nagel hängengeblieben. Blut und Knochen schienen durch den Riß zu dringen.
»Reg dich nicht auf. Das können die wieder in Ordnung bringen. Du schaffst das«, sagte ich. Ich erwähnte das Blut nicht, das durch das Handtuch drang. Ich dachte mir, daß er das wahrscheinlich wußte.
»Ich hab ‘nen Bauchschuß.«
»Ich weiß. Entspann dich. Es ist nicht schlimm. Der Krankenwagen ist unterwegs.«
Die Hand, die ich hielt, war eiskalt, die Finger bleich. Es gab Fragen, die ich hätte stellen müssen, aber ich tat es nicht. Ich konnte nicht. Man belästigt einen Sterbenden nicht mit einem verdammten Verhör wie ein verdammter Profi. Das hier waren nur er und ich, und nichts und niemand sonst hatte damit zu tun.
Ich musterte sein Gesicht, sandte ihm Liebe durch meine Augen, wollte ihn mit meiner Willenskraft zwingen zu leben. Sein Haar wirkte lockiger, als ich es in Erinnerung hatte. Mit meiner freien Hand strich ich es ihm aus der Stirn. Schweiß perlte auf seiner Oberlippe.
»Ich sterbe... ich fühle, wie ich sterbe...«Er klammerte sich krampfhaft an meine Hand, bäumte sich auf unter einer Woge von Schmerz.
»Ganz ruhig. Du wirst wieder ganz gesund.«
Er fing an, schneller zu atmen, und dann ließ sein Kampf nach. Ich konnte sehen, wie das Leben von ihm wich, wie alles verblaßte — Farbe, Energie, Bewußtsein, Schmerz. Der Tod kommt in einer Wolke, die sich wie ein Schleier senkt. Billy Polo seufzte, den Blick noch immer auf mein Gesicht geheftet. Seine Hand entspannte sich in meiner, aber ich hielt sie weiter fest.
24
Ich saß auf dem Bordstein in der Nähe des Snack Shops und starrte auf den Asphalt. Der Besitzer hatte mir eine Dose Cola gebracht, und ich hielt das kühle Metall an meine Schläfe. Mir war übel, aber sonst war alles in Ordnung mit mir. Lieutenant Feldman war erschienen und beugte sich jetzt über Billys Leiche, sprach mit den Jungs vom Labor. Der Krankenwagen hatte gewendet und wartete mit offenen Türen, als wollte er den Leichnam vor den Blicken des Publikums schützen. Zwei Streifenwagen parkten in der Nähe, ihre Funkgeräte bildeten einen quäkenden Gegensatz zu dem Gemurmel der Menge. Gewaltsamer Tod zieht immer Zuschauer an, und ich konnte hören, wie sie ihre Kommentare abgaben, Vermutungen anstellten, wie der letzte Akt gespielt worden war. Sie waren nicht grausam, nur neugierig. Vielleicht war es gut für sie zu sehen, wie grotesk Mord tatsächlich ist.
Die Streifenbeamten Gutierrez und Pettigrew waren wenige Minuten nach Billys Tod eingetroffen und hatten über Funk die Spurensicherung gerufen. Die beiden würden wahrscheinlich zur Wohnwagenstadt hinüberfahren, um Coral und Lovella die Nachricht zu überbringen. Ich hatte das Gefühl, ich sollte mitfahren, aber ich brachte es noch nicht über mich. Ich würde fahren, aber im Augenblick hatte ich noch Schwierigkeiten, mit der Tatsache von Billys Tod fertigzuwerden. Es war so schnell passiert. Es war so unwiderruflich. Es fiel mir schwer zu
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