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Kinsey Millhone 05 - Kleine Geschenke

Kinsey Millhone 05 - Kleine Geschenke

Titel: Kinsey Millhone 05 - Kleine Geschenke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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die Köchin wahrscheinlich am selben Tag zubereitet hatte.
    »Mrs. Wood kommt sofort«, wurde mir erklärt.
    »Danke«, sagte ich. »Äh, gibt es in der Nähe ein Bad?« Der Ausdruck »Toilette« schien mir zu gewöhnlich.
    »Ja, Ma’am. Wenden Sie sich in der Halle nach links. Dann ist es die erste Tür auf der linken Seite.«
    Auf Zehenspitzen schlich ich zum Klo, schloß mich ein, starrte verzweifelt auf mein Spiegelbild. Natürlich war ich wieder einmal falsch gekleidet. Ich entschied mich immer falsch, wenn es um Kleidung ging. Ins Edgewater Hotel war ich in meinem Kleid für alle Gelegenheiten gegangen, hatte mit Ashley zu Mittag gegessen, die absolut leger angezogen war. Jetzt hatte ich mich nicht in Schale geworfen, sondern sah aus wie eine Pennerin. Ich weiß nicht, was ich mir dabei gedacht hatte. Mir war ja klar, daß die Woods Geld hatten. Ich hatte einfach nur vergessen, wieviel. Das Problem ist, ich habe keine Klasse. Ich bin in einem 3-Zimmer-Bungalow aufgewachsen. Der Garten bestand aus einem kleinen Stück schäbigen Rasens, eingefaßt von einem dieser weißen Zäune, die man stückweise kauft und dann, wo man will, in den Boden drückt. Unter einer »Dekoration« stellte sich meine Tante einen rosa Plastikflamingo vor, der auf einem Bein stand. Ich hielt es für ziemlich vornehmes Zeug, bis ich zwölf war.
    Ich schloß das Bad aus meinem Gesichtskreis aus, aber erst, als ich schon einen Blick auf Marmor, blaßblaues Porzellan und vergoldete Armaturen geworfen hatte. Eine flache Schale enthielt sechs ovale Seifenstücke von der Größe eines Rotkehlchens. Keines von ihnen war je zuvor von einer menschlichen Hand berührt worden. Ich pieselte und hielt meine Hände dann bloß unters Wasser, schüttelte sie ab, weil ich nichts schmutzig machen wollte. Die Frotteehandtücher sahen aus, als wäre gerade erst das Preisschild entfernt worden. Vier Gästetücher lagen wie dekorative Papierservietten neben dem Waschbecken, aber ich war zu schlau, um auf diesen Trick reinzufallen. Wohin sollte ich ein benutztes Handtuch anschließend werfen — in den Abfall? Diese Menschen machten keinen Abfall. Ich trocknete meine Hände schließlich hinten an meiner Jeans ab und kehrte mit einem leicht feuchten Gefühl am Hintern ins Morgenzimmer zurück. Ich wagte nicht, mich zu setzen.
    Kurz darauf erschien Ash mit Mrs. Wood, die sich auf ihren Arm stützte. Die Frau ging langsam, vorsichtig, als wäre sie gezwungen, mit einem Paar Schwimmflossen anstelle der Schuhe zurechtzukommen. Ich war überrascht zu sehen, daß sie Anfang Siebzig sein mußte. Das hieß, daß sie ihre Kinder ziemlich spät bekommen hatte. Siebzig ist hier draußen nicht sehr alt. Die Menschen in Kalifornien scheinen in einem anderen Tempo zu altern als die Leute im Rest des Landes. Vielleicht ist es die Vorliebe für Diät und Sport, vielleicht die Popularität kosmetischer Chirurgie. Vielleicht leiden wir auch an einem solchen Horror vor dem Alter, daß wir den Prozeß psychisch unterbunden haben. Mrs. Wood hatte den Trick offenbar nicht gelernt. Die Jahre hatten sie mitgenommen, ihre Knie waren schwach, ihre Hände zitterten, ein Phänomen, das ihr ein bitteres Lächeln entlockte. Sie schien ihr eigenes Vorankommen zu beobachten, als hätte sie ihren Körper bereits verlassen.
    »Hallo, Kinsey, lange nicht gesehen«, begrüßte sie mich. Dabei sah sie zu mir auf. Ihr Blick war dunkel und scharf. Alle Energie, die ihren Gliedern entzogen worden war, schien sich in ihren Augen zu konzentrieren. Sie hatte hohe Wangenknochen und ein kräftiges Kinn. Die Haut hing von ihrem Gesicht wie hauchdünnes Leder, faltig und gelb vom Alter wie ein Paar alte Handschuhe. Wie Ashley war sie dick: breit in den Schultern, dick in der Taille. Ebenfalls wie Ash war sie in ihrer Jugend möglicherweise rothaarig gewesen. Jetzt war ihr Haar wie ein weißer Wattebausch, auf dem Scheitel zusammengenommen und mit einer Reihe Schildpattkämmen befestigt. Ihre Kleider waren schön gemacht — ein weich drapierter Kimono aus marineblauer Seide über einem dunkelroten, seidenen Wickelkleid. Ashley half ihr in einen Sessel, zog den Teewagen in Reichweite, damit ihre Mutter die Prozedur des Einschenkens überwachen konnte.
    Ash warf mir einen Blick zu. »Hättest du lieber einen Sherry? Der Tee ist Earl Grey.«
    »Tee, bitte.«
    Ash schenkte drei Tassen ein, während Helen einen kleinen Teller mit Keksen und Sandwichstreifen für jeden von uns zusammenstellte. Weißbrot mit

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