Kinsey Millhone 05 - Kleine Geschenke
hatte am ganzen Leib gezittert, trotz der Decken, in die man mich gewickelt hatte. An Ebony erinnerte ich mich nicht. Vielleicht hatten sie sie auf der Straße festgehalten, hatten sich geweigert, sie näher an die Opfer zu lassen. Die Bombe hatte Fetzen aus Olives Fleisch gerissen, die jetzt in den Hecken hingen.
Ich legte eine Hand vors Gesicht, fühlte die Tränen aufsteigen. Bass tätschelte verlegen meine Schulter, murmelte Unsinn, aufgeregt, weil er mich aufgeregt hatte. Wahrscheinlich fragte er sich, wie er aus dieser Sache herauskommen konnte. Ich riß mich zusammen, holte tief Luft. »Was ist mit Terrys Verletzungen?«
»Die sind nicht so schlimm. Ein Schnitt auf der Stirn. Ein paar angeknackste Rippen, weil ihn die Wucht der Explosion gegen die Garage geschleudert hatte. Sie wollten ihn zur Beobachtung hierbehalten, aber er scheint in Ordnung.«
Hinter uns bewegte sich was, und die Tür zu Terrys Zimmer wurde geöffnet. Eine Schwester kam heraus. Sie trug eine rostfreie Schale mit schmutzigen Verbänden. Sie schien von dem Geruch von Alkohol, Jod und Pflaster eingehüllt zu sein.
»Sie können jetzt hineingehen. Die Ärztin sagt, er kann jederzeit heimgehen. Wir besorgen einen Rollstuhl für ihn, wenn er bereit ist, nach unten zu fahren.«
Bass ging zuerst hinein. Ich rollte hinter ihm her. Eine Schwesternhelferin räumte den Nachttisch auf, an dem die Krankenschwester gearbeitet hatte. Terry saß auf dem Rand des Bettes und knöpfte sein Hemd zu. Ich konnte seine fixierten Rippen unter dem Hemd sehen und wandte mich ab. Sein Oberkörper war schneeweiß und unbehaart, die Brust schmal und ohne Muskeln. Krankheit und Verletzung schienen etwas so Persönliches zu sein. Ich wollte gar nichts über die Einzelheiten seiner Gebrechlichkeit wissen.
Er wirkte mitgenommen, mit einer dunklen Spur auf der Stirn, dort, wo die Wunde genäht worden war. Ein Handgelenk war bandagiert, wahrscheinlich Schnitt- oder Brandwunden. Sein Gesicht war blaß, sein Schnurrbart steif, sein Haar zerzaust. Er schien geschrumpft, als hätte Olives Tod ihn kleiner werden lassen.
Ebony tauchte in der Tür auf. Mit einem Blick nahm sie die ganze Situation in sich auf. Sie zögerte, wartete, daß die Helferin fertig wurde. Das Zimmer wirkte unerträglich überfüllt. Ich brauchte frische Luft.
»Ich komme gleich wieder«, murmelte ich. Dann rollte ich hinaus. Ebony folgte mir zum Besucherzimmer, einem kleinen Alkoven mit grüner Tweedcouch, zwei passenden Sesseln, einer künstlichen Palme und einem Aschenbecher. Sie setzte sich, suchte in ihrer Handtasche nach Zigaretten. Sie zündete eine an, inhalierte den Rauch, als wäre es Sauerstoff. Sie wirkte vollkommen beherrscht, aber es war klar, daß die Krankenhausatmosphäre sie beunruhigte. Sie pickte ein Staubkörnchen von ihrem Rock.
»Ich verstehe das alles nicht«, meinte sie heiser. »Wer hätte Olive umbringen sollen? Sie hat doch niemandem was getan.«
»Olive war nicht das Ziel. Es galt Terry. Das Paket mit der Bombe war an ihn adressiert.«
Ebonys Blick schoß zu mir und blieb dort hängen. Ein hell-rosa Fiauch überzog die Totenblässe ihres Gesichtes. Die Hand mit der Zigarette zuckte, fast wie aus eigenem Antrieb, Asche stäubte in ihren Schoß. Sie erhob sich abrupt, wischte sie ab.
»Das ist doch lächerlich«, fuhr sie mich an. »Die Polizei sagt, von dem Paket ist nichts mehr übriggeblieben, nachdem die Bombe explodiert ist.« Sie drückte die Zigarette aus.
»Nun, das stimmt nicht ganz. Außerdem habe ich es gesehen. Terrys Name stand darauf, nicht ihrer.«
»Das glaube ich einfach nicht.« Ein dünner Rauchfaden stieg von dem zerdrückten Zigarettenstummel auf. Sie nahm ihn nochmals auf, zermalmte die Glut mit den Fingerspitzen. Dann zerfetzte sie die Überreste der Zigarette. Die Tabakstreifen wirkten obszön.
»Ich erzähle doch nur, was ich gesehen hab’. Olive könnte das Ziel gewesen sein, aber das Paket war an ihn adressiert.«
»Unsinn! Dieser Bastard ! Erzähl mir bloß nicht, Olive sei tot, weil sie das Paket für ihn aufgehoben hat.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und sie rang um Beherrschung. Sie stand auf und lief aufgeregt hin und her.
Ich drehte den Rollstuhl herum, folgte ihr mit den Blicken. »Welcher Bastard, Ebony? Wen meinst du damit?«
Sie setzte sich plötzlich hin, drückte die Handflächen gegen die Augen. »Niemanden. Tut mir leid. Ich hatte keine Ahnung. Ich dachte, jemand hätte sie umbringen wollen, und das war schon
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