Kinsey Millhone 05 - Kleine Geschenke
Angst. Ich schob die Decke zurück und schwang die Beine über die Bettkante. »Ich muß hier raus.«
»Darfst du schon auf stehen?«
»Klar doch, kein Problem. Sieh mal im Schrank nach, ob Daniel mir irgendwas zum Anziehen gebracht hat.« Das grüne Cocktailkleid war hin, wahrscheinlich am Vorabend von ein paar chirurgischen Scheren in seine Bestandteile zerlegt worden, ebenso wie meine Unterwäsche.
»Der ist leer, abgesehen davon.« Sie hielt meine Handtasche hoch.
»Toll. Dann sind wir im Geschäft. Solange ich meine Schlüssel hab’, kann ich mir was anziehen, wenn ich heimkomme. Ich nehme doch an, du bist mit dem Wagen hier.«
»Kannst du denn ohne ärztliche Genehmigung gehen?«
»Die hab’ ich. Die Ärztin hat Daniel erklärt, ich könnte das Krankenhaus verlassen, wenn er nach mir schaut, und das hat er versprochen.«
Darcy musterte mich unsicher. Wahrscheinlich ahnte sie, daß das nicht die ganze Wahrheit war.
»Mach dir doch deswegen keine Sorgen, Darcy. Es verstößt nicht gegen das Gesetz, ein Krankenhaus zu verlassen. Das ist kein Gerichtsurteil. Ich bin freiwillig hier«, beruhigte ich sie.
»Wie steht’s mit deiner Rechnung?«
»Würdest du endlich aufhören Schwierigkeiten zu machen? Meine Versicherung kommt dafür auf, ich schulde dem Krankenhaus also nichts. Und außerdem haben sie meine Adresse. Wenn sie mich brauchen, finden sie mich schon.«
Darcy war eindeutig nicht überzeugt, aber sie zuckte nur die Schultern und half mir in den Rollstuhl, schob mich den Flur entlang auf die Fahrstühle zu. Eine der Schwesternhelferinnen starrte uns an, als wir vorbeikamen, aber ich winkte ihr zu, und darauf schien sie zu beschließen, daß sie sich keine Sorgen machen mußte.
Als wir unten waren, lieh Darcy mir ihren Mantel und ließ mich im Foyer zurück, während sie ihren Wagen holte. Da saß ich nun in meinem geliehenen Mantel und Papierpantoffeln, die Handtasche im Schoß. Ich war mir nicht sicher, wie ich mich verhalten würde, wenn meine Ärztin jetzt vorüberkommen sollte. Leute, die durch die Halle gingen, warfen mir neugierige Blicke zu, aber niemand sagte ein Wort. Krank zu sein ist Mist. Ich hatte schließlich Arbeit zu tun.
Um 15 Uhr 15 betrat ich meine Wohnung, die schon jetzt nach Vernachlässigung und altem Staub roch. Ich war nur einen Tag fort gewesen, aber mir kam es vor wie Wochen. Darcy trat hinter mir ein. Schuldbewußt beobachtete sie mich, als sie bemerkte, daß ich noch immer wackelig auf den Füßen stand. Ich hockte mich auf die Couch, schweißnaß, und machte mich dann daran, mich anzuziehen.
»Was jetzt?« fragte sie.
Ich zwängte mich gerade in meine Jeans. »Laß uns ins Büro fahren. Mal sehen, ob Andy was zurückgelassen hat«, schlug ich vor. Ich zog mein Sweatshirt über und ging ins Bad, wo ich mir die Zähne putzte. Mein Spiegelbild zeigte ein Gesicht, auf das sich Erstaunen malte, und zwar genau dort, wo sonst meine Augenbrauen waren. Meine Wangen wirkten sonnenverbrannt. Ich konnte ein paar Kratzer und blaue Flecken sehen, aber es war nicht schlimm. Irgendwie gefielen mir fast die krausen Reste in der Stirn, dort, wo einst mein Haaransatz gewesen ist. Ich öffnete den Medizinschrank und holte meine alte Nagelschere heraus. Dann schnitt ich den Verband von meinem rechten Arm und untersuchte, was darunter zum Vorschein kam. Schien ganz okay zu sein. Verbrennungen heilen an der Luft sowieso besser. Vorsichtshalber nahm ich eine Schmerztablette, und dann winkte ich mir zum Abschied zu. Mir ging’s gut.
Ich griff mir den Ordner, den ich angelegt hatte, nachdem ich Andys Abfall durchwühlt hatte, zog Socken und Tennisschuhe an, schnappte mir eine Jacke und schloß dann wieder ab. In Santa Teresa wird es normalerweise schnell kalt, wenn die Sonne untergegangen ist, und ich wußte nicht, wie lange wir unterwegs sein würden.
Draußen war es eher wie im August als im Januar. Der Himmel war klar, die Sonne stand hoch über unseren Köpfen. Kein Lüftchen regte sich, und die Bürgersteige dienten als Solarzellen, absorbierten den Sonnenschein, warfen die Hitze zurück. Von Daniel war weit und breit nichts zu sehen, und ich war dankbar dafür. Er wäre sicher nicht damit einverstanden gewesen, daß ich das Krankenhaus verließ. Ich entdeckte meinen kleinen VW, der zwei Häuser weiter geparkt war, und war froh, daß irgend jemand so schlau gewesen war, ihn zu meinem Haus zurückzufahren. Ich konnte zwar noch nicht wieder fahren, aber es tat doch gut zu wissen,
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