Kinsey Millhone 05 - Kleine Geschenke
Verbesserung, wie ich fand. Daniel stand neben meinem Krankenhausbett, und jede einzelne Minute seiner zweiundvierzig Jahre war ihm anzusehen. »Ich weiß, das wird dir nicht passen, aber die Ärztin sagt, sie entläßt dich nur, wenn du daheim jemanden hast, der für dich sorgt.«
Panik machte sich in meiner Brust breit. »Noch ein Tag, dann geht es mir wieder gut. Ich brauche niemanden, der für mich sorgt. Ich hasse den Gedanken daran.«
»Nun ja, das dachte ich mir. Ich erzähle dir ja nur, was sie gesagt hat.«
»Mir gegenüber hat sie nichts davon erwähnt.«
»Hatte ja auch keine Gelegenheit. Du warst halb daneben. Sie sagte, sie wollte mit dir sprechen, wenn sie das nächstemal ihre Runde dreht.«
»Die können mich nicht hier festhalten. Da werd’ ich ja verrückt.«
»Das hab’ ich ihr auch gesagt. Ich wollte nur, daß du weißt, daß ich bereit bin zu helfen. Ich könnte dafür sorgen, daß die dich hier entlassen und dich heimbringen. Ich muß ja nicht bei dir wohnen. Sieht sowieso so aus, als hätte da nicht mehr als eine Person Platz. Aber wenigstens könnte ich zweimal am Tag bei dir vorbeischauen, ob du alles hast, was du brauchst.«
»Laß mich darüber nachdenken«, erklärte ich brummig. Aber ich begriff schon, daß ich in der Klemme steckte. Jetzt, wo Henry verreist, Rosie im Urlaub und Jonah nicht in der Stadt war, wäre ich auf mich selbst gestellt. Und so gut fühlte ich mich wirklich nicht. Ich konnte meinen Körper einfach nicht dazu bringen zu tun, was ich wollte. Die Alten, Schwachen und Kranken müssen dieses Gefühl von ungläubiger Verwirrung und hilfloser Wut kennen. Ausnahmsweise hatte mein Entschluß nichts, aber auch rein gar nichts mit meiner Tüchtigkeit zu tun. Es war anstrengend zu sitzen, und ich wußte nur zu gut, daß ich daheim nicht viel schaffen würde. Hierbleiben kam überhaupt nicht in Frage. Krankenhäuser sind gefährlich. Leute machen Fehler. Falsches Blut, falsche Medikamente, falsche Operationen, falsche Untersuchungen. Ich würde diese gastliche Stätte so schnell wie möglich verlassen.
Daniel fuhr mir mit der Hand über den Kopf. »Tu, was du willst. Ich komme später wieder.«
Er war schon fort, ehe ich protestieren konnte.
Ich drückte auf den Knopf der Gegensprechanlage zum Schwesternzimmer.
Eine hohle Stimme erklang. »Ja?«
»Kann Mr. Kohler auf Drei-Null-Sechs Besuch empfangen?«
»Soviel ich weiß, ja.« Die Schwester hörte sich an, als würde sie in eine alte Blechbüchse reden. Im Hintergrund hörte man Rumoren und Husten.
»Kann ich einen Rollstuhl bekommen? Ich würde ihn gern besuchen.«
Es dauerte zwanzig Minuten, bis es jemandem gelang, einen für mich aufzutreiben. Inzwischen erkannte ich, daß ich mit einer Depression zu kämpfen hatte, die Olives Tod hervorgerufen hatte. Nicht, daß wir miteinander befreundet gewesen wären, aber sie hatte jahrelang eine Rolle am Rande meines Lebens gespielt. Zuerst hatte ich sie in der High-School gesehen, als ich Ashley kennenlernte, aber sie verließ die Schule kurz vor unserem Junior-Jahr. Danach war sie mehr Gerücht als Tatsache... die Schwester, die immer irgendwo anders war: Internat, Schweiz, mit Freunden zum Skifahren in Utah. Ich glaube nicht, daß wir mehr als oberflächliche Worte miteinander wechselten, bis vor zwei Tagen, und da stellte ich fest, daß meine Meinung von ihr eine Wendung machte. Jetzt hatte der Tod sie erwischt, der Schlag kam so abrupt wie bei einer Fliege auf dem Fensterbrett. Die Wirkung war verblüffend und nachhaltig. Ich ertappte mich dabei, daß ich im Geiste Bilder von ihr sah, versuchte, die Endgültigkeit zu begreifen. Man hatte mich in dieser Angelegenheit nicht um meine Meinung gefragt, und ich hatte nicht zugestimmt. Der Tod ist eine Beleidigung, und ich verabscheute sein plötzliches Auftauchen, wie den unangemeldeten Besuch eines flegelhaften Verwandten. Ich vermutete, daß der Druck in meiner Brust noch lange dort sein würde; nicht einfach Bedauern, sondern die harte Faust der Unabänderlichkeit.
Ich rollte den Gang entlang zu Zimmer 306. Die Tür war geschlossen, Bass stand davor. Langsam wandte er den Kopf, als ich mich näherte. Er hatte das glatte Aussehen eines Mannes auf einem Ölgemälde aus dem achtzehnten Jahrhundert. Sein Gesicht war oval, jungenhaft, die Stirn faltenlos, die Augen braun. Sein Mund war sinnlich, sein Gehabe überheblich. Wenn man ihn in eine Satinweste, Reithosen und Gamaschen gesteckt hätte, hätte er leicht als Blue
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