Kinsey Millhone 05 - Kleine Geschenke
unter den Trauergästen, sagte wenig, pickte Bruchstücke ihrer Unterhaltungen auf. Ein paar Gäste sprachen über die Lage am Aktienmarkt, andere über ihre letzten Reisen, eine Frau über die Scheidung gemeinsamer Bekannter, die sechsundzwanzig Jahre lang verheiratet gewesen waren. Bei denen, die sich über Olive Wood-Kohler unterhielten, teilten sich die Themen in das übliche gefühlvolle Trauergerede und Gehässigkeit.
»...er wird sich von diesem Verlust niemals erholen, weißt du. Sie hat ihm alles bedeutet...«
»...hat siebentausend Dollar für diesen Mantel bezahlt...«
»...entsetzt... konnte es einfach nicht glauben, als Ruth mich angerufen hat...«
»...arme Ding. Er hat den Boden angebetet, über den sie gegangen ist, obwohl ich persönlich nie so recht verstanden habe...«
»...Tragödie... so jung...«
»...nun, ich habe mich schon immer gefragt, wie das ging. So schmal, wie sie in der Brust war. Wer hat denn gearbeitet?«
Ich fand Ash auf einer aus Beton gegossenen Bank in der Nähe des Eingangsportals zur Kapelle sitzen. Sie war blaß und wirkte mitgenommen, vorzeitige graue Strähnen zeigten sich in ihrem hellroten Haar. Das Kleid, das sie trug, war aus dunkler Wolle, locker geschnitten, und die kurzen Ärmel ließen ihre Oberarme so formlos wie Brotteig wirken. Noch ein paar Jahre und sie hätte das matronenhafte Aussehen, das Frauen manchmal annehmen, wenn sie sich ins mittlere Alter stürzen, nur, um es hinter sich zu bringen. Ich setzte mich neben sie. Sie streckte die Hand aus, und da saßen wir nun wie Schulkinder bei einem Ausflug. »Stellt euch in Zweierreihen auf und redet nicht.« Das Leben selbst ist ein sonderbarer Ausflug. Manchmal habe ich immer noch das Gefühl, einen Brief von meiner Mutter mitnehmen zu müssen.
Ich überflog die Menge. »Was ist mit Ebony? Ich habe sie nicht gesehen.«
»Sie ist gleich nach dem Gottesdienst gegangen. Großer Gott, sie ist so kalt. Sie hat dagesessen wie ein Stein, keine einzige Träne vergossen.«
»Bass sagt, sie wäre völlig durcheinander gewesen, als sie es erfahren hat. Jetzt hat sie sich unter Kontrolle. Wahrscheinlich entspricht das ihrem Naturell mehr. Standen sie und Olive sich nahe?«
»Das dachte ich immer. Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher.«
»Komm schon, Ashley. Die Menschen gehen mit ihrem Kummer einfach unterschiedlich um. Man kann nie wirklich wissen, was vorgeht. Ich war einmal auf einer Beerdigung, wo eine Frau so heftig gelacht hat, daß sie sich in die Hosen machte. Ihr einziger Sohn war bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Sie ist später wegen Depressionen in eine Heilanstalt eingewiesen worden, aber bei der Beerdigung wäre niemand auf diese Idee gekommen.«
»Das kann ich mir denken.« Sie ließ ihren Blick über den Flof schweifen. »Terry ist noch einmal von dieser Frau angerufen worden.«
»Lyda Case?«
»Ich schätze, das ist sie. Jedenfalls die, die ihn bedroht hat.«
»Hat er die Polizei verständigt?«
»Das bezweifle ich. Es war erst vorhin, als wir das Haus verließen, um hierherzukommen. Wahrscheinlich hatte er noch gar keine Gelegenheit dazu.«
Ich entdeckte Terry, der sich mit dem Pfarrer unterhielt. Wie aufs Stichwort drehte er sich um und sah mich an. Ich berührte leicht Ashs Arm. »Ich komme gleich wieder.«
Terry murmelte etwas und kam zu mir herüber. Wenn ich ihn ansah, hatte ich das Gefühl, in einen Spiegel zu sehen... dieselben Verletzungen, derselbe gequälte Ausdruck in den Augen. Wir fühlten uns nach dem Trauma, das hinter uns lag, so eng verbunden wie Liebende. Niemand konnte wissen, wie das war, als die Bombe losging. »Wie geht es dir?« erkundigte er sich leise.
»Ash sagt, Lyda Case habe angerufen.«
Terry ergriff meinen Arm und steuerte mich auf den Eingang der Halle zu. »Sie ist hier in der Stadt. Sie will sich mit mir treffen.«
»Unsinn. Unmöglich«, flüsterte ich heiser.
Terry sah mich verlegen an. »Ich weiß, es hört sich verrückt an, aber sie sagt, sie hätte Informationen, die uns helfen könnten.«
»Bestimmt hat sie die. Wahrscheinlich in einer Kiste, die hochgeht, wenn man sie aufhebt.«
»Danach habe ich sie gefragt. Sie schwört, sie hätte mit Olives Tod nicht das geringste zu tun.«
»Und das hast du ihr geglaubt?«
»Ich denke, ja. In gewisser Weise.«
»Hör mal, du warst es, der mir von der Drohung erzählt hat. Sie hat dir eine Heidenangst eingejagt, und jetzt ist sie wieder da. Wenn du Lieutenant Dolan nicht anrufst, tue ich
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