Kinsey Millhone 05 - Kleine Geschenke
aus.«
»Bin ich auch. Komm rein. Ich hoffe, du hast Wein dabei. Ich kann welchen gebrauchen.«
Er stieß sich vom Wagen ab und schleppte die Tüte, als er mir durchs Tor folgte. Wir landeten bei Henry, saßen auf dem Boden im Wohnzimmer. Daniel hatte fünfundzwanzig Votivkerzen mitgebracht und stellte sie jetzt im Zimmer auf, bis ich das Gefühl hatte, mitten auf einer Geburtstagstorte zu sitzen. Wir aßen und tranken Wein, Pastete, verschiedene Käse, französisches Brot, dazu Salate, frische Himbeeren und Zuckerkuchen, so groß wie Frisbeescheiben. Anschließend streckte ich mich aus, gesättigt, zufrieden und träumend, während Daniel Klavier spielte. Daniel spielte Musik nicht direkt, er entdeckte sie, rief Melodien ab, verfolgte sie, schmückte sie aus. Sein Background war die klassische Musik, also wärmte er sich mit Chopin, Liszt und Bach auf, ehe er ohne größere Anstrengung zu improvisieren anfing.
Plötzlich brach er ab.
Ich öffnete die Augen und sah ihn an.
Er hatte einen gequälten Ausdruck im Gesicht. Achtlos berührte er eine Taste, es ergab einen Mißton. »Weg. Ich hab’s nicht mehr. Ich hab’ die Drogen aufgegeben, und damit hab’ ich die Musik verloren.«
Ich setzte mich auf. »Wovon redest du eigentlich?«
»Du hast es doch gehört. Das war die Wahl, die ich treffen mußte, aber es war alles Quatsch. Ich kann ohne Drogen leben, Baby, aber nicht ohne Musik. Dazu bin ich nicht geschaffen.«
»Es klang gut. Es war schön.«
»Was verstehst du schon davon, Kinsey? Du hast doch keine Ahnung. Das war alles nur Technik. Mechanik. Ich habe keine Seele mehr. Musik — das funktioniert nur, wenn ich fliege, wenn ich brenne, voll mit Stoff bin. Das hier ist nichts. Nur halbes Leben. Das andere ist besser... wenn ich in Flammen stehe durch das Zeug, wenn ich alles gebe. Man kann es nicht zurückhalten. Es heißt >Alles oder nichtsc«
Ich spürte, wie mein Körper starr wurde. »Was willst du damit sagen?« Dumme Frage. Ich wußte es doch.
Seine Augen glühten, er kniff Daumen und Zeigefinger dicht vor den Lippen zusammen, sog die Luft ein. Das war die Geste, die er immer benutzte, wenn er vorhatte, sich einen Joint zu drehen. Er schaute auf seine Ellenbeuge und ballte liebevoll eine Faust.
»Tu das nicht«, sagte ich.
»Warum nicht?«
»Es wird dich umbringen.«
Er zuckte die Achseln. »Warum kann ich nicht so leben, wie ich will? Ich bin der Teufel. Ich bin schlecht. Das solltest du inzwischen wissen. Es gibt nichts, was ich nicht dafür tun würde... nur, um wach zu bleiben. Scheiße. Ich will wieder fliegen, hörst du? Ich will mich gut fühlen. Ich will dir was sagen... trocken zu sein, clean, das ist gottverdammt langweilig. Ich begreife nicht, wie du das aushalten kannst. Ich weiß nicht, wieso du dich nicht aufhängst.«
Ich knüllte die Papierservietten zusammen, stopfte sie in die Tüte, sammelte Pappteller, Plastikbecher, die leere Weinflasche, die Pappbehälter ein. Er hockte vor dem Klavier, die Hände locker im Schoß. Ich bezweifelte, daß er seinen dreiundvierzigsten Geburtstag noch erleben würde.
»Bist du deshalb zurückgekommen?« fragte ich. »Um mir diesen Scheiß zu erzählen? Was willst du, meine Erlaubnis? Soll ich mich darüber freuen?«
»Ja, das würde mir gefallen.«
Ich blies die Kerzen aus. Dunkelheit legte sich wie Rauch über das Zimmer. Man kann nicht mit Menschen streiten, die in den Tod verliebt sind. »Verschwinde aus meinem Leben, Daniel. Würdest du das bitte tun?«
20
Am Montagmorgen stand ich um 6.00 Uhr auf und joggte langsame, schmerzvolle fünf Meilen. Ich war schlecht in Form, und eigentlich hätte ich überhaupt nicht da sein sollen, aber ich konnte nicht anders. Das mußte das schlimmste Weihnachten gewesen sein, was ich jemals verbracht hatte, und soweit ich es beurteilen konnte, fiel das neue Jahr auch nicht viel besser aus. Heute war der 3. Januar, und ich wollte mein Leben wieder so haben, wie es gewesen war. Mit ein wenig Glück würde Rosie später am Tag wieder eröffnen, und vielleicht kam auch Jonah aus Idaho zurück. Henry flog Freitag heim. Während ich lief, zählte ich mir innerlich alles Gute auf, ignorierte die Tatsache, daß mein Körper schmerzte, daß ich im Augenblick kein Büro hatte und daß noch immer eine Wolke des Mißtrauens über meinem Kopf schwebte.
Der Himmel war klar, eine stürmische Brise ging. Selbst um diese frühe Stunde schien der Tag für diese Jahreszeit außergewöhnlich warm, und ich fragte
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