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Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass

Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass

Titel: Kinsey Millhone 06 - Dunkle Geschaefte - H wie Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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nicht mehr dableiben wollte. Die Pferde waren groß und voller Fliegen, und zwischen ihren Hinterbacken kamen in Abständen heiße, strohige, runde Dinger heraus. Ihre Nasen waren weich und seidig wie Wildleder, mit kleinen prickligen Stacheln darin. Aber wenn man es am wenigsten erwartete, rissen sie plötzlich die Köpfe hoch, um mit klaviertastengroßen Zähnen nach einem zu schnappen. Die Natur entpuppte sich als steil, staubig, heiß und kratzig. Und der Teil, der nicht trocken und langweilig war, war noch schlimmer. Wir sollten in einem See mit einem indianischen Namen schwimmen, aber der Grund war glitschig und eklig. Die Hälfte der Zeit hatte ich Angst, dass dort drunten im Schmodder kaputte Flaschen lauern könnten. Ein falscher Schritt, und meine zarte Fußsohle würde bis auf die Knochen aufgeschlitzt werden. Und wenn es nicht der Glitsch und die scharfen Steine waren, dann hatte ich Angst vor den Wesen, die da unten durch die modrigen Tiefen glitten und mit ihren Tentakeln träge nach meinen blassen, knochigen Beinen tasteten. Am ersten Abend beim Lagerfeuer sangen wir etwa sechsmal »Kumbayah«, und sie erzählten mir von dem armen Mädchen, das vor zwei Jahren ertrunken war, und von dem anderen, das allergisch auf einen Bienenstich reagiert hatte und beinahe gestorben wäre, und von einem dritten, das von einem Baum gefallen war und sich den Arm gebrochen hatte. Und eine der Betreuerinnen hatte gerade mit ihrem Freund im Auto geknutscht, als im Radio die Warnung vor dem gefährlichen Irren gekommen war, und als sie schnell die Scheibe hochgekurbelt hatten und davongefahren waren, da hatte der eiserne Haken im Fenster geklemmt, den er statt der einen Hand hatte. In der Nacht hatte ich mich in den Schlaf geweint, ganz leise, damit es keiner merkte. Am Morgen hatte ich entdeckt, dass ich völlig falsche Shorts dabei hatte, und ich hatte lauter mitleidige Blicke wegen des Gummizugs ertragen müssen. Beim Frühstück war das Rührei rotzig und hatte kleine weiße Dinger darin, von denen das eine Mädchen in meiner Blockhütte behauptete, sie bestünden aus ungeborenen Vögelchen. Und als mir schlecht geworden war und sie mich zur Krankenstation geschickt hatten, war da ein zwölfjähriges Mädchen gewesen, das blutete, aber nicht verletzt war. Es war nur, weil jeden Monat ein totes Baby unten aus ihm herauskam. Zum Mittagessen hatte es Karottensalat mit dunklen Flecken gegeben. Am nächsten Tag war ich wieder weggefahren, nach Hause, und da wollte ich jetzt auch hin. Ich schlief schlecht.

20

    Früh am nächsten Morgen rief die Polizei von Santa Teresa an, um mitzuteilen, dass die Autopsie beendet sei. Raymond fuhr zum Bestattungsinstitut, um die Beisetzung in die Wege zu leiten. Der Chef der Bestattungsfirma hatte ihm offenbar am Telefon versichert, er könne Chago bis zum Abend für den letzten Abschied fertig machen. Der Rosenkranz würde am Sonntagabend in der Kapelle des Bestattungsinstituts stattfinden, die Messe dann am Montagmorgen um zehn Uhr in der Erlösungskirche und die Beerdigung anschließend auf dem Roosevelt-Memorial-Park-Friedhof in Gardena.
    Als Raymond wiederkam, konferierte er mit Luis, der kurz darauf mit dem Hund die Wohnung verließ. Offensichtlich machte die Nachricht bereits die Runde. Die beiden Mädchen, die ich am ersten Tag gesehen hatte, erschienen wieder und setzten sich an den Küchentisch, wo sie mit Hilfe eines Knipsers und etlicher bunter Textmarker kleine Papier-Büchlein fabrizierten. Auf der Vorderseite konnte ich in verschnörkelten Zierbuchstaben lesen: »R.I.P-Chago.« Je ein Stapel abkopierte Fotos wurde mit Geschriebenem zusammengeheftet. Binnen einer Stunde begannen Chagos Freunde in Zweier- und Dreiergrüppchen einzutrudeln, einige in Begleitung ihrer Frauen oder Freundinnen. Die meisten schienen zu alt, um aktive Gang-Mitglieder zu sein. Drogen, Zigaretten und Alkohol hatten ihren Tribut gefordert und sich in aufgedunsenen Bäuchen und ungesunder Gesichtsfarbe niedergeschlagen. Diese Leute waren Veteranen erbitterter Bandenkriege, Männer von Ende zwanzig, die sich wahrscheinlich glücklich schätzten, überhaupt noch am Leben zu sein. Die Grundstimmung der Versammlung war eine dumple Beklommenheit. Eine Trauergemeinde, die zu Ehren eines gefallenen Kameraden zusammenkam. Alles, was ich von Chago mitbekommen hatte, war seine letzte, mühsame Reise zu einer Straßenecke in Santa Teresa. In Regen und Dunkelheit hatte er seine verlöschenden Kräfte nur noch

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